Generalanwalt zur gerichtlichen Überprüfbarkeit von EU-Völkerrechtsabkommen: Kein Fischen mehr in der West­sa­hara?

10.01.2018

Erstmals landete die Frage vor dem EuGH, ob die Rechtmäßigkeit völkerrechtlicher Abkommen der EU überprüft werden kann. Ja, meint der Generalanwalt und empfiehlt ein Fischereiabkommen mit Marokko für ungültig zu erklären. 

Natürliche und juristische Personen können die Rechtmäßigkeit völkerrechtlicher Abkommen der Europäischen Union gerichtlich überprüfen lassen.  So sieht es jedenfalls Melchior Wathelet, Generalanwalt des Europäischen Gerichtshof (EuGH), in seinen Schlussanträgen vom Mittwoch. Einem Fischereiabkommen mit Marokko droht deswegen wegen Verstößen gegen das Völkerrecht das Aus (Az. C-266/16).

Die Europäische Union und Marokko haben 2006 ein partnerschaftliches Fischereiabkommen über ein Gebiet im Nordwesten Afrikas geschlossen. Dieses Gebiet der Westsahara wird vom Volk der Sahrauis bewohnt, aber derzeit größtenteils von Marokko kontrolliert, was wiederum international nicht anerkannt wird.  

Für das Selbstbestimmungsrecht des saharauischen Volks kämpft die Western Sahara Campaign. Die Freiwilligenorganisation mit Sitz im Vereinigten Königreich versucht vor dem dortigen High Court of Justice die Ungültigkeit des zwischen der EU und Marokko geschlossenen Fischereiabkommens zu erreichen. Die Organisation ist der Ansicht, die britischen Behörden handelten rechtswidrig, indem sie das Abkommen anwendeten und unter anderem Zollpräferenzen gewährten oder Fischereilizenzen erteilten.

Organisationen können völkerrechtliche Abkommen überprüfen lassen

Der High Court of Justice wollte im Wege eines Vorabentscheidungsersuchen vom EuGH vor allem zwei Fragen beantwortet haben: Ist eine Organisation wie die Western Sahara Campaign überhaupt befugt, die Rechtmäßigkeit von völkerrechtlichen Abkommen infrage zu stellen? Und wie steht es um die Gültigkeit des konkreten Fischereiabkommens im Hinblick auf das Unionsrecht? Das Interessante dabei: Es handelt sich um das erste Vorabentscheidungsersuchen über die Gültigkeit von der Union abgeschlossener völkerrechtlicher Abkommen.  

Der Generalanwalt vertritt dabei die Auffassung, dass für natürliche und juristische Personen eine gerichtliche Kontrolle völkerrechtlicher Regelungen unter bestimmten Voraussetzungen möglich sein müsse. Und zwar dann, wenn die Union an diese gebunden sei, sie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau seien und ihre Struktur einer gerichtlichen Kontrolle des beanstandeten Rechtsakts nicht entgegenstehe.

EU verletzt Selbstbestimmungsrecht des Volkes der Westsahara

Für das Fischereiabkommen mit Marokko lägen diese Voraussetzungen laut Wathelet vor. Diesem droht jetzt das Aus, denn der Generalanwalt sprach sich dafür aus, den Vertrag aus dem Jahr 2006 für ungültig zu erklären, weil er auch für die Westsahara und die daran angrenzenden Gewässer gelte. Damit verstoße die EU gegen ihre Pflicht zur Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Volkes der Westsahara. Zudem sei nicht sichergestellt, dass die Nutzung der natürlichen Ressourcen der Westsahara der Bevölkerung dort zugutekomme, heißt es in der Begründung.

Über das Fischereiabkommen wird derzeit geregelt, dass Fischer aus EU-Staaten gegen eine finanzielle Kompensation auch in Fischereizonen Marokkos fischen dürfen. Nach Angaben des EuGH-Generalanwalts geht es dabei aber fast ausschließlich um die Fischerei in den an die Westsahara angrenzenden Gewässern.

Der EuGH hatte Ende 2016 bereits entschieden, dass ein Handelsabkommen zwischen der EU und Marokko nicht für die Westsahara gelten darf. Das Urteil im aktuellen Verfahren wird in einigen Monaten erwartet.

mgö/LTO-Redaktion

Mit Materialien der dpa

Zitiervorschlag

Generalanwalt zur gerichtlichen Überprüfbarkeit von EU-Völkerrechtsabkommen: Kein Fischen mehr in der Westsahara? . In: Legal Tribune Online, 10.01.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26391/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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