Der polnische Landesjustizrat schlägt dem Präsidenten Kandidaten für Richterposten am Obersten Gericht vor. Die effektive gerichtliche Kontrolle der Entscheidungen wurde schrittweise abgeschafft. Laut EuGH könnte das unionsrechtswidrig sein.
Das Verfahren zur Besetzung des Obersten Gerichts in Polen könnte nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gegen Unionsrecht verstoßen. Es könne die Verpflichtung der EU-Staaten verletzen, erforderliche Rechtsbehelfe und somit einen wirksamen Rechtsschutz für den Einzelnen zu schaffen, urteilte das Gericht am Dienstag in Luxemburg (Urt. v. 02.03.2021, Rechtssache C-824/18). Dies könne dazu führen, dass ernannte Richter des Obersten Gerichts parteiisch erscheinen. Polens Regierung wies das Urteil harsch zurück. Eine Entscheidung darüber muss nun noch das polnische Gericht treffen, das den EuGH angerufen hatte.
Die nationalkonservative PiS-Regierung baut das Justizwesen des Landes seit Jahren trotz internationaler Kritik um und setzt Richter damit unter Druck. Die EU-Kommission klagte schon mehrfach gegen die Reformen; zum Teil wurden sie vom EuGH gekippt.
Im konkreten Fall geht es um eine Gesetzesänderung aus dem Jahr 2018. Das Gesetz sah vor, dass der umstrittene Landesjustizrat (KRS) dem polnischen Präsidenten Vorschläge zur Ernennung auf Richterstellen des Obersten Gerichts machen kann. Die Entscheidung des KRS für einen Kandidaten wurde nach dem Gesetz bestandskräftig, wenn nicht alle sonstigen Teilnehmer an dem Ernennungsverfahren die Entschließung des KRS anfochten. Fünf Richter erhoben dagegen vor Gericht Beschwerde, das nationale Gericht legte den Fall daraufhin dem EuGH vor.
Anhängige Beschwerden wurden für erldigt erklärt
2019 wurde das Gesetz dann aber erneut geändert. Seitdem ist es gar nicht mehr möglich, Beschwerden gegen die Kandidatenentscheidungen des KRS zu erheben. Die bereits anhängigen Beschwerden wurden mit der Reform von Rechts wegen für erledigt erklärt. Dem vorlegenden polnischen Gericht wurde damit de facto seine Zuständigkeit für die Entscheidung über diese Art von Rechtsbehelfen sowie die Möglichkeit genommen, eine Antwort auf die ursprünglich gestellten Vorlagefragen zu erhalten. Das polnische Gericht befragte den EuGH dann in einem ergänzenden Vorabentscheidungsersuchen nach der Vereinbarkeit der neuen Regelungen mit dem Unionsrecht.
Sollte das polnische Gericht urteilen, dass der Landesjustizrat nicht mehr hinreichend unabhängig sei, müsse den erfolglosen Kandidaten ein gerichtlicher Rechtsbehelf offenstehen, betonte der EuGH nun. Falls das polnische Gericht zu dem Schluss gelangt, dass die Gesetzesänderung von 2019 unter Verstoß gegen das Unionsrecht erfolgte, müsse es die Änderungen unangewendet lassen und seine frühere Zuständigkeit für die Entscheidung über die vor diesen Änderungen bei ihm anhängigen Rechtsstreitigkeiten weiterhin wahrnehmen, so das Luxemburger Gericht.
Kritiker der nationalkonservativen PiS-Regierung argumentieren, dass der Landesjustizrat kein politisch unabhängiges Gremium mehr ist, seit seine ursprüngliche Zusammensetzung 2018 mithilfe der PiS-Parlamentsmehrheit geändert wurde. Vor der Reform wurde die Mehrheit der Mitglieder des Landesjustizrates nicht vom Parlament, sondern von anderen Richtern ernannt.
Die Regierung in Warschau bewertete die Entscheidung des EuGH kritisch. "Aus unserer Sicht wird hier ein weiterer Versuch unternommen, die EU zu föderalisieren", schrieb Vize-Justizminister Sebastian Kaleta auf Twitter. Die Entscheidung sei eine Verletzung der EU-Verträge und ein Versuch, die Souveränität der EU-Mitgliedsstaaten einzuschränken. Oppositionsführer Borys Budka vom liberalkonservativen Bündnis "Bürgerkoalition" (KO) hingegen nannte die Entscheidung des EuGH einen "Sieg der Rechtsstaatlichkeit über die Gesetzeswidrigkeit".
acr/LTO-Redaktion
mit Materialien der dpa
EuGH: . In: Legal Tribune Online, 02.03.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44397 (abgerufen am: 04.10.2024 )
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