Will sich ein EU-Bürger in einem anderen Mitgliedstaat behandeln lassen, muss eine Vorabgenehmigung vorliegen, damit die Kosten übernommen werden. Wann gezahlt werden muss, auch wenn die Genehmigung fehlt, hat den EuGH beschäftigt.
Wem in seinem Heimatland medizinisch nicht weitergeholfen werden kann, der kann sich auch in einem anderen EU-Land behandeln lassen. Unter welchen Voraussetzungen diese Behandlung dann die Krankenkasse im Heimatland zahlen muss, damit hat sich nun der Europäische Gerichtshof (EuGH) befasst. Die EU-Richter haben dabei entschieden, dass nicht per nationalem Gesetz verboten werden darf, dass die Kosten für einen dringenden Eingriff, dem sich ein EU-Bürger in einem anderen Mitgliedstaat unterzogen hat, erstattet werden (Urt. v. 23.09.2020 Az. C-777/18).
Einem solchen nationalen Gesetz stünden der Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs und die Richtlinie über grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung (Richtlinie 2011/24/EU) entgegen, so der EuGH.
Anlass zur Entscheidung hatte der Fall eines Ungarn gegeben, der sich wegen der drohenden Gefahr des Erblindens in Deutschland hatte behandeln lassen. Zunächst wurde der Ungar in verschiedenen Gesundheitseinrichtungen in seinem Heimatland behandelt, dies hatte jedoch keine Wirkung gezeigt. Deshalb verringerte sich ein Gesichtsfeld immer mehr und sein Augeninnendruck nahm stetig zu.
Der Ungar hatte daraufhin Rat bei einem Arzt in Recklinghausen gesucht, der den Patienten bereits einen Tag nach der Untersuchung operierte, um die Sehkraft zu erhalten. Die OP war erfolgreich. Die ungarischen Behörden hatten den Antrag auf Erstattung der Kosten für die Gesundheitsversorgung in Deutschland jedoch abgelehnt. Das begründeten sie damit, dass es sich bei der Versorgung um eine geplante Behandlung gehandelt habe, für die es keine Vorabgenehmigung gegeben habe. Eine solche sei aber von den Unionsverordnungen zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (Verordnung (EG) Nr. 883/2004) vorgeschrieben.
Der EuGH hat zunächst diese Verordnungen ausgelegt und festgestellt, dass eine Gesundheitsversorgung, die der Versicherte allein nach seinem eigenen Willen in einem anderen Mitgliedstaat in Anspruch genommen hat, eine geplante Behandlung im Sinne der Verordnungen ist. Ob die Kosten einer solchen Behandlung von dem zuständigen Träger des Heimatlandes übernommen werden, sei daher davon abhängig, ob eine Vorabgenehmigung erteilt wurde.
Besondere Umstände müssen berücksichtigt werden
Allerdings seien die Kosten nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs auch ohne eine solche Vorabgenehmigung zu erstatten, wenn besondere Umstände dies gebieten. Solche Umstände lägen insbesondere vor, wenn die Behandlung so dringend war, dass eine Entscheidung über die Genehmigung nicht abgewartet werden konnte, so die Richter. Ob solche Umstände im Fall des Ungarn vorlangen, muss nun das nationale Gericht prüfen.
In Ungarn existiert allerdings eine nationale Regelung, die die Übernahme der Kosten in allen Fällen ausschließt, wenn keine Vorabgenehmigung erteilt wurde. Eine solche Regelung verstößt nach Ansicht des EuGH gegen die Richtlinie über grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung und stellt eine unverhältnismäßige Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs dar. Ein Vorabgenehmigungssystem beschränkt den freien Dienstleistungsverkehr, so der EuGH. Das Argument, die Kosten zu begrenzen, lässt er allenfalls für Krankenhausbehandlungen oder aufwändige Behandlungen außerhalb von Krankenhäusern gelten, nicht aber für ärztliche Beratungen. Und auch die Übernahme der Kosten für aufwändige oder Krankenhausbehandlungen dürfe nicht gänzlich ausgeschlossen werden, sondern müsste unter besonderen Umständen möglich sein.
vbr/LTO-Redaktion
EuGH zu Kosten für Arzttermine im Ausland: . In: Legal Tribune Online, 23.09.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42881 (abgerufen am: 07.10.2024 )
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