EuGH im Vertragsverletzungsverfahren: Ungarns Hoch­schul­ge­setz ver­stößt gegen EU-Recht

06.10.2020

Ein Gesetz, das den Betrieb ausländischer Hochschulen in Ungarn unter bestimmten Voraussetzungen verbietet, verstößt unter anderem gegen die Niederlassungsfreiheit. Eine weitere Niederlage, die Ungarns Regierung vor dem EuGH hinnehmen muss.

Das ungarische Hochschulgesetz verstößt nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gegen EU-Recht. Das Gesetz, mit dem die von US-Milliardär George Soros gegründete Central European University (CEU) aus Ungarn vertrieben wurde, verletze unter anderem das EU-Grundrecht der akademischen Freiheit sowie die Niederlassungsfreiheit, urteilten die Luxemburger Richter am Dienstag (Urt. v. 06.10.2020, Az. C-66/18).

Das Gesetz der rechtsnationalen Regierung in Budapest sieht vor, dass ausländische Universitäten auch in ihrem Heimatland lehren müssen und der Betrieb von Ungarn vertraglich mit dem Heimatland vereinbart sein muss. Ausgenommen sind EU-Mitgliedstaaten. Die von Soros gegründete CEU war die einzige Universität aus dem Ausland, die diese neuen Anforderungen von 2017 nicht erfüllte. Betroffen davon waren Lehrgänge, die amerikanische Diplome vergeben - das Kernstück der CEU.Der Schaden ist schon angerichtet, Ende 2018 verkündete die CEU ihren weitgehenden Umzug nach Wien.

EuGH: Marktbeschränkung nicht gerechtfertigt, Infrastruktur der höheren Bildung in Gefahr

Die EU-Kommission sah durch das Gesetz EU-Recht verletzt und leitete im April 2017 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Budapest ein. Weil Ungarn die Bedenken nicht ausräumte, landete der Streit schließlich vor dem EuGH. Die Kommissioin argumentierte, das neue Gesetz sei ein Verstoß gegen die Freiheit von Hochschuleinrichtungen, in der gesamten EU Dienstleistungen anzubieten oder sich niederzulassen. Zugleich liefen die neuen Vorschriften dem Recht auf akademische Freiheit, dem Recht auf Bildung und der unternehmerischen Freiheit zuwider, die in der EU Grundrechte-Charta verankert sind. Außerdem würden Verpflichtungen aus dem internationalen Handelsrecht – dem GATS-Abkommen - verletzt.

Die Luxemburger Richter gaben der EU-Kommission nun weitgehend Recht. Zunächst erachteten sie die Klage als zulässig und sahen, anders als von Ungarn vorgetragen, die von der Kommission im Vorverfahren gesetzten Fristen als angemessen an. Des Weiteren stellen die Richter eine Verletzung des GATS-Abkommens der WTO fest, nachdem sie sich für dafür zuständig erklärt haben. Ungarn verstoße gegen die Verpflichtung zu einem freien Marktzugang für Unternehmen aus anderen WTO-Mitgliedsländern. Eine echte und ausreichende Bedrohung der ungarischen Gesellschaft, die eine Marktbeschränkung rechtfertigen könnte, ist für den EuGH nicht erkennbar.

Zudem verstoße Ungarn mit dem Gesetz gegen EU-Grundrechte wie die akademische Freiheit. Dieses Grundrecht habe auch eine institutionelle Dimension, die sich in der Autonomie von Bildungseinrichtungen wiederspiegele. Diese Autonomie werde durch das Hochschulgesetz gefährdet, wenn Standorte nicht mehr frei gewählt und Forschungsarbeiten nicht mehr autonom durchgeführt werden können. Die gesamte Infrastruktur der höheren Bildung sei in Gefahr und der akademische Freiraum werde eingeschränkt. In Bezug auf Hochschulen aus dem EU-Ausland sei außerdem die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV verletzt und es liege ein Verstoß gegen Art. 16 der Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt vor. Die Richter begründen dies unter anderem damit, dass die ausländischen Hochschulen die Bildungsstandards in Ungarn nicht gefährden würden.

Nicht Ungars erste Niederlage in 2020

Die EU-Kommission begrüßte das Urteil. Ungarn müsse nun unverzüglich Schritte einleiten, um die nationalen Vorschriften mit EU-Recht übereinzubringen, sagte ein Sprecher. Die EU-Kommission werde das genau beobachten. Man messe der akademischen Freiheit großen Stellenwert bei.

Zuletzt reagierte Orban auf derlei Urteile allerdings mit Geringschätzung und verschwörungstheoretischen Sprüchen. Es ist bereits das vierte Mal in diesem Jahr, dass der EuGH in politisch brisanten Fällen gegen die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orban entscheidet. Anfang April urteilten die Richter, dass Ungarn sich in der sogenannten Flüchtlingskrise nicht hätte weigern dürfen, an der Umverteilung von Asylbewerbern aus Griechenland und Italien
teilzunehmen. Sechs Wochen später erklärte der EuGH die Unterbringung von Asylbewerbern in Ungarns Transitlagern für rechtswidrig. Orban sagte dazu, statt für europäischen Zusammenhalt in der Corona-Pandemie zu sorgen, "ziehen die Brüsseler Bürokraten, die wir bezahlen, gegen uns vom Leder". Als fünf Wochen darauf die Richter urteilten, das sogenannte NGO-Gesetz verstoße gegen EU-Recht, meinte er: "Der liberale Imperialismus will
allen Andersdenkenden seine eigene Meinung aufzwingen. Das westeuropäische Hauptquartier des liberalen Imperialismus ist das Soros-Netzwerk."

Den aus Ungarn stammenden Holocaust-Überlebenden Soros hat Orban als Feindbild auserkoren. Er überzieht ihn mit Verleumdungen und antisemitisch konnotierten Anfeindungen. Orban, der seit 2010 ununterbrochen Ministerpräsident ist, stellt diebEU mit seinem Regierungsstil seit längerem auf eine harte Probe. Er setzt die Zivilgesellschaft unter Druck und fährt einen abschreckenden Kurs gegen Migranten und Asylbewerber. Erst am Montag sagte der deutsche Europa-Staatsminister Michael Roth (SPD) im Europaparlament: "Rechtsstaatlichkeit eint uns nicht mehr, und das ist ein bitterer, trauriger Befund. Rechtsstaatlichkeit spaltet uns."

Das gilt insbesondere für den Mechanismus, der künftig die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards an die Vergabe von EU-Geld koppeln soll. Europaparlament und EU-Staaten verhandeln im Zusammenhang mit dem siebenjährigen EU-Haushalt ab 2021 darüber. Ungarn und Polen sind kategorisch gegen ein Instrument, das ihnen ernsthaft gefährlich werden könnte - und drohen, die Verhandlungen zu blockieren.

Grund dafür sind auch die neuen Rechtsstaatsberichte, die die EU-Kommission vergangene Woche vorgelegt hat. Zum ersten Mal hat die Brüsseler Behörde systematisch untersucht, wie es bei Medienvielfalt, Gewaltenteilung oder Justiz in den 27 EU-Staaten aussieht. Für Ungarn fiel das Zeugnis vernichtend aus. Unter anderem kritisiert die EU-Kommission eine mangelnde Unabhängigkeit der Justiz, eine systematische Behinderung und Einschüchterung unabhängiger Medien
sowie Mängel bei der Korruptionsbekämpfung.
 

dpa/pdi/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

EuGH im Vertragsverletzungsverfahren: . In: Legal Tribune Online, 06.10.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43021 (abgerufen am: 12.12.2024 )

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