An Polens Oberstem Gericht soll eine neue Kammer über Disziplinarsachen von Richtern und Staatsanwälten entscheiden. Ob die allerdings wirklich unabhängig ist, muss die polnische Justiz selbst überprüfen, so der EuGH.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in den Auseinandersetzungen um die umstrittenen Justizreformen in Polen ein weiteres Urteil gefällt. Vor der großen Kammer ging es am Dienstag um die Frage, ob die von der nationalkonservativen PiS-Regierung im Jahr 2018 geschaffene Disziplinarkammer am Obersten Gericht wirklich unabhängig und unparteiisch ist.
Im Zuge der Justizreformen der Jahre 2017 und 2018 erhielt das Oberste Gericht eine neue Kammer – und zwar für Disziplinarsachen. Im Gesetz heißt es zum Aufgabenfeld der Kammer: Disziplinarsachen gegen Richter am Obersten Gericht, gegen Richter der ordentlichen Gerichtsbarkeit, gegen Staatsanwälte, Rechtsanwälte und Notare. Die Richter der Kammer werden von Polens Präsident ernannt, zudem darf die Kammer nur aus neu ernannten Richtern bestehen.
In dem Fall hatte sich das Oberste Gericht in Polen an den EuGH gewandt, weil es selbst Zweifel an der Unabhängigkeit der neuen Disziplinarkammer hat. Das Gericht wollte von den Luxemburger Richtern unter anderem wissen, ob es die nationalen Regelungen über die Verteilung der gerichtlichen Zuständigkeiten anwenden darf und ob es sich gegebenenfalls für Streitigkeiten, die eigentlich in den Zuständigkeitsbereich der neuen Kammer fallen würden, selbst für zuständig erklären muss.
Eine klare Antwort darauf gab der EuGH allerdings nicht (Urt. v. 19.11.2019, Az. C-585/18 u.a.). Das Oberste Gericht müsse erst einmal selbst prüfen, ob die neue Kammer wirklich unabhängig ist, so die Luxemburger Richter. Sollte dies nicht der Fall sein, ist Polens Oberstes Gericht laut EuGH sodann dazu verpflichtet, die nationalen Regeln unangewendet zu lassen.
Polens Regierung will an Reformen festhalten
Der EuGH gab dem Obersten Gerichts einige Anhaltspunkte dafür an die Hand, was in einer solchen Prüfung zu berücksichtigen sei. Isoliert betrachtet könne etwa der Umstand, dass die Richter der Disziplinarkammer vom Präsidenten ernannt werden, nicht zwangsläufig die Unabhängigkeit der Kammer in Frage stellen. Im Zusammenspiel mit anderen Umständen könne jedoch etwas anderes gelten. Das polnische Gericht müsse etwa untersuchen, ob die Richter der Kammer nach der Ernennung politischem Druck ausgesetzt sind und ob sie bei der Ausführung ihres Amtes Weisungen unterliegen.
Polens nationalkonservativer Ministerpräsident Mateusz Morawiecki will am umstrittenen Umbau der Justiz festhalten. "Ein besserer Staat bedeutet ein besseres Justizsystem. Wir werden unsere Reformen in diesem Bereich fortsetzen", sagte Morawiecki in seiner Regierungserklärung am Dienstag in Warschau. Die Unabhängigkeit der Richter sei wichtig, dürfe aber nicht zum Mangel an Verantwortung führen.
Zur Kritik aus dem Ausland an den Reformen sagte der polnische Regierungschef: "Das demokratische Parlament hat Einfluss auf die Besetzung von Gerichten in jedem Land, in den USA, in Frankreich und in Spanien." Auch in Deutschland sei ein Politiker der CDU zum Mitglied des Bundesverfassungsgerichts bestimmt worden, sagte Morawiecki in Anspielung auf den seit Dezember amtierenden Vizepräsidenten des Gerichts, Stephan Harbarth.
acr/LTO-Redaktion
mit Materialien der dpa
EuGH zu Polens umstrittener Disziplinarkammer: . In: Legal Tribune Online, 19.11.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38773 (abgerufen am: 04.12.2024 )
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