EuGH zu syrischen Kriegsdienstverweigerern: EuGH-Urteil kann neuen Asy­l­an­trag recht­fer­tigen

von Dr. Max Kolter

08.02.2024

Im Jahr 2020 fällte der EuGH ein für syrische Kriegsdienstverweigerer günstiges Urteil. Davon könnten auch Geflüchtete profitieren, deren Asylanträge das BAMF schon vor dieser Entscheidung beschieden hat, stellte der EuGH nun klar.

Sind syrische Kriegsdienstverweigerer "politisch verfolgt" und damit als Flüchtlinge anzuerkennen? Dafür spreche eine "starke Vermutung", entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Jahr 2020 in einem Rechtsstreit eines geflüchteten Syrers gegen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Dieses hatte die Lage bis dahin anders als der EuGH beurteilt und syrischen Kriegsdienstverweigerern nur subsidiären Schutz nach § 4 Asylgesetz (AsylG) gewährt, nicht aber gemäß § 3 AsylG die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt.

Das ging zum Nachteil derjenigen Menschen, die in der Hochphase des syrischen Bürgerkriegs zwischen 2011 und 2016 geflüchtet waren. Wer dagegen nach dem Urteil des EuGH vom 19. November 2020 (Az. C-238/19) in der EU einen Asylantrag gestellt und diesen mit der Sorge begründet hat, einberufen oder verhaftet zu werden, hatte bessere Karten im Asylverfahren.

Ein Mann wollte diese Ungleichbehandlung nicht akzeptieren und stellte nach 2020 einen zweiten Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, nachdem ihm das BAMF 2017 nur subsidiären Schutz gewährt hatte. Doch ein solcher Asylfolgeantrag ist nur in eng begrenzten Fällen möglich – insbesondere dann, wenn sich die "Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat" (§ 71 Abs. 1 S. 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVfG). Doch liegt eine veränderte Sach- oder Rechtslage vor, wenn der EuGH seine Rechtsprechung ändert?

EuGH: Jedes eigene Urteil kann eine Neuprüfung des Asylantrags rechtfertigen

Ja, wenn es wahrscheinlich ist, dass der Asylantrag unter Berücksichtigung des neuen Urteils positiv ausfällt, entschied der EuGH am Donnerstag (Urt. v. 08.02.2024, Az. C-216/22). Ob diese Voraussetzungen im Fall des Syrers gegeben sind, muss nun das vorlegende Verwaltungsgericht (VG) Sigmaringen klären.

Das BAMF hält den Asylfolgeantrag des Mannes im Ausgangsverfahren bereits für unzulässig, da das EuGH-Urteil von 2020 keine veränderte Sach- oder Rechtslage i.S.v. § 51 VwVfG begründe. Auch das Verwaltungsgericht (VG) München hatte in einem anderen Fall eines syrischen Kriegsdienstverweigerers Ende 2022 entsprechend entschieden. Nach dem Selbstverständnis des EuGH werde die Rechtslage durch seine Rechtsprechung nicht geändert, sondern nur klargestellt, so das VG (Urt. v. 06.12.2022, Az. M 22 K 21.30832). Das entspricht dem klassischen Verständnis einer Rechtsprechung, die die wahre Rechtslage im Normdickicht nur findet, sie aber nicht gestaltet. Und es entspricht auch der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte in Bezug auf Entscheidungen der deutschen Bundesgerichte (ggf. mit Ausnahme des Bundesverfassungsgerichts).

Das VG Sigmaringen aber war sich unsicher, inwiefern das auch für EuGH-Urteile im Bereich des Asylrechts gilt, und legte dem Gerichtshof einige Fragen zur Auslegung der Asylverfahrens-Richtlinie (2013/32/EU) vor. Der EuGH schloss einen Asylfolgeantrag nach einem fallrelevanten eigenen Urteil nicht aus. Vielmehr könne jedes seiner Urteile "einen neuen Umstand darstellen […], der eine erneute vollständige Prüfung, ob die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erfüllt sind, rechtfertigen kann".

Abweichende Neubewertung muss wahrscheinlich sein

Das gelte unabhängig davon, ob der EuGH in seinem Urteil die Unvereinbarkeit einer nationalen Vorschrift mit dem Unionsrecht feststellt oder sich auf die Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts beschränkt, die bei Erlass einer Entscheidung über einen früheren Antrag bereits in Kraft war, so das Luxemburger Gericht.

Der EuGH schränkte diese Möglichkeit aber gleichzeitig stark ein: Ein neues EuGH-Urteil rechtfertige nur dann eine neue Prüfung im Rahmen eines Asylfolgeantrags, "wenn es erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beiträgt, dass der Antragsteller als Person mit Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft anzuerkennen ist". Damit liegt es in der Verantwortung des BAMF, im Fall eines Folgeantrags zu prüfen, ob eine in einem anderen Verfahren ergangene EuGH-Entscheidung für den vorliegenden Fall relevant ist und eine abweichende Bewertung wahrscheinlich macht.

So weit war das BAMF im Ausgangsverfahren gar nicht gekommen, da es den Antrag bereits als unzulässig abgelehnt hatte. Diesen Bescheid wird das VG Sigmaringen nun voraussichtlich aufheben und das BAMF erneut über den Fall des syrischen Geflüchteten entscheiden lassen.

In der Praxis könnte die Entscheidung vom Donnerstag erhebliche Auswirkungen haben. Denkbar ist, dass auf das BAMF etliche neue Asylfolgeanträge zukommen.

Zitiervorschlag

EuGH zu syrischen Kriegsdienstverweigerern: . In: Legal Tribune Online, 08.02.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53841 (abgerufen am: 09.11.2024 )

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