EuGH zu Asylanträgen: Zustän­dig­keits­über­gang nach sechs Monaten

25.10.2017

Wenn ein EU-Mitgliedstaat Flüchtlinge nicht innerhalb von sechs Monaten in einen anderen – und eigentlich zuständigen – EU-Staat abschiebt, muss er den Asylantrag selbst prüfen. Das hat der EuGH nun entschieden.

Nach der Dublin-III-Verordnung muss grundsätzlich der EU-Mitgliedstaat den Asylantrag prüfen, in den der Antragsteller zuerst eingereist ist. Wenn Flüchtlinge in ein anderes EU-Land weiterreisen und nicht innerhalb von sechs Monaten abgeschoben werden, geht die Zuständigkeit jedoch auf diesen Staat über. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) klargestellt (Urt. v. 25.10.2017, Az. C-201/16).

Der Iraner Majid Shiri war über Bulgarien in die EU eingereist und hatte dort im Februar 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Ohne die Entscheidung abzuwarten, reiste er kurz darauf nach Österreich weiter und stellte dort ebenfalls einen Asylantrag. Das österreichische Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl lehnte den Antrag ab, zuständig sei Bulgarien. Die bulgarischen Behörden stimmten einem Wiederaufnahmeverfahren zu.

 

 

Shiri wandte sich mit einer Beschwerde gegen die Zurückweisung seines Antrags in Österreich und seine Abschiebung nach Bulgarien an die österreichischen Gerichte. Er machte geltend, dass Österreich nach der Dublin III-Verordnung für die Prüfung seines Antrags zuständig geworden sei, da er nicht innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Wiederaufnahmeersuchens durch die bulgarischen Behörden nach Bulgarien überstellt worden sei.

 

 

EuGH: Zuständigkeit geht von Rechts wegen über

 

 

Der österreichische Verwaltungsgerichtshof legte daraufhin dem EuGH die Frage vor, ob der bloße Ablauf der sechsmonatigen Frist zu einem solchen Zuständigkeitsübergang zwischen den Mitgliedstaaten führt. Zudem möchte er auch wissen, ob sich eine Person, die internationalen Schutz beantragt hat, in einem solchen Fall vor Gericht auf den Zuständigkeitsübergang berufen kann.

Die Luxemburger Richter haben beides bejaht. Die Zuständigkeit gehe von Rechts wegen auf den "aufnahmeersuchenden Mitgliedstaat" (im vorliegenden Fall Österreich) über, sofern die Überstellung nicht innerhalb der sechsmonatigen Frist durchgeführt wird. Das gelte auch, wenn der zuständige Mitgliedstaat (im vorliegenden Fall Bulgarien) der Wiederaufnahme zugestimmt hat.

Der EuGH erklärte, das ergebe sich nicht nur aus dem Wortlaut der Dublin III-Verordnung, sondern stehe auch mit dem Ziel einer zügigen Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz im Einklang. Denn so sei bei einer verzögerten Durchführung des Wiederaufnahmeverfahrens gewährleistet, dass der Antrag auf internationalen Schutz in dem Mitgliedstaat geprüft wird, in dem sich der Antragsteller aufhält und die Prüfung nicht weiter aufgeschoben wird.

 

 

Nach Ablauf der Frist müssen Behörden den Asylantrag unverzüglich prüfen

 

 

Auf den Ablauf dieser Frist kann sich der Antragsteller auch berufen, so der EuGH weiter. Dies gelte unabhängig von der Frage, ob diese Frist vor oder nach dem Erlass der Überstellungsentscheidung abgelaufen ist. Die Mitgliedstaaten seien verpflichtet, dafür einen wirksamen und schnellen Rechtsbehelf vorzusehen. In Österreich ist das der Fall.

Die Luxemburger Richter machten allerdings auch deutlich, dass die zuständigen Behörden den Betroffenen nach Ablauf der Frist nicht in einen anderen Mitgliedstaat überstellen dürfen. Sie seien vielmehr verpflichtet, unverzüglich mit der Prüfung des vom Betroffenen gestellten Antrags auf internationalen Schutz zu beginnen.

Die Vorabentscheidung des EuGH bindet auch andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.

 

 

Allerdings wird derzeit eine umfassende Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems diskutiert, die diese Entscheidung auf lange Sicht hinfällig machen könnte. Nach den Vorschlägen der EU-Kommission soll die sechsmonatige Frist abgeschafft werden, der Mitgliedstaat, in den der Flüchtling zuerst eingereist ist, bliebe dann dauerhaft für das Asylverfahren zuständig.

 

 

 

aka/LTO-Redaktion

 

 

Zitiervorschlag

EuGH zu Asylanträgen: . In: Legal Tribune Online, 25.10.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25223 (abgerufen am: 03.11.2024 )

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