Der Tatverdächtige im Fall Maddie kann nicht auf eine baldige Entlassung aus dem Gefängnis hoffen. Der Europäische Haftbefehl wegen einer anderen Tat des Mannes ist laut EuGH rechtens und daher durfte die deutsche Justiz ihn verurteilen.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat sich in einem Eilverfahren mit dem Spezialitätsgrundsatz beim Europäischen Haftbefehl (EuHB) auseinandergesetzt. Der Fall sorgt vor allem dehalb für viel Aufmerksamkeit, weil es um Christian B. geht - gegen ihn ermittelt die Staatsanwaltschaft (StA) Braunschweig zur Zeit im Fall Maddie. Damit allerdings hatten die Luxemburger Richter nichts zu tun, es ging um eine andere Tat: Nach der Überzeugung des Landgerichts (LG) Braunschweig hatte B. 2005 in Portugal eine 72-jährigen US-Amerikanerin vergewaltigt. Das LG verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren. Rechtskräftig ist das Urteil noch nicht, B. legt Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) ein, die er u. a. auf den im Rahmenbeschluss des Rates zum Europäischen Haftbefehl (Rahmenbeschluss 2002/584) vorgesehenen Grundsatz der Spezialität stützt.
Der Grundsatz der Spezialität besagt, dass ein Tatverdächtiger nur wegen der Taten verfolgt werden darf, auf die der EuHB gestützt wird - ansonsten müssen die Behörden des Auslieferungsstaats zustimmen. B. machte im Wesentlichen geltend, dass die deutschen Behörden nicht befugt gewesen seien, ihn zu verfolgen und deshalb auch die Verurteilung des LG Braunschweig nicht rechtmäßig sei. Der EuGH schloss sich dieser Argumentation nicht an.
Der Fall hat eine komplizierte Vorgeschichte, da B. die deutsche Justiz in mehreren Fällen beschäftigte: B. wurde bereits im Jahr 2011 wegen des Handels mit Betäubungsmitteln vom Amtsgericht (AG) Niebüll verurteilt, die Strafe allerdings zunächst zur Bewährung ausgesetzt. Die Bewährungszeit wurde mehrfach verlängert, weil B. mit Kriminalität im kleinen bis mittleren Bereich auffiel - um Gewaltdelikte ging es dabei nicht, so eine Sprecherin der zuständigen StA Flensburg gegenüber LTO.
Dann allerdings fand die Staatsanwaltschaft Hannover bei B. mehrere Datenträger mit Kinderpornografie, auf einigen wenigen Bildern war auch B. selbst zusammen mit einem Kind in sexueller Pose zu sehen war. B., der zwischenzeitlich nach Portugal ausgereist war, wurde von den portugiesischen Behörden auf Grund eines EuHB an die deutschen Behörden übergeben und im September 2017 vom LG Braunschweig wegen sexuellen Missbrauchs und Besitz von Kinderpornografie zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Diese Strafe hat B. mittlerweile abgesessen.
Im Anschluss daran wollte eigentlich die StA Flensburg erwirken, dass auch die vom AG Niebüll verhängte Strafe nunmehr vollstreckt wird - doch die notwendige Abstimmung mit den portugiesischen Behörden dauerte zu lange, B. wurde aus der Haft entlassen. Er reiste nach Italien aus und wurde dort vier Wochen später auf der Grundlage eines EuHB der StA Flensburg festgenommen. Kurz darauf folgte ein Untersuchungshaftbefehl des AG Braunschweig wegen der (mutmaßlich) in Portugal begangenen Vergewaltigung der 72-jährigen US-Amerikanerin. Die StA Braunschweig ersuchte die italienischen Behörden um Zustimmung zur Strafverfolgung in dieser Sache und die Zustimmung wurde erteilt. B. argumentiert nun, auch die portugiesischen Behörden hätten in dieser Sache zustimmen müssen. Das sah der EuGH jedoch nicht so.
Nun muss der BGH unter Berücksichtigung dieser Auslegung des EuGH noch in dem Revisionsverfahren entscheiden, ob das Urteil des LG Braunschweig wegen der Vergewaltigung rechtskräftig wird. Derzeit sitzt B. jedenfalls noch bis zum 7. Januar 2021 in Haft, weil er die vom AG Niebüll verhängte Strafe verbüßt. Die Ermittlungen bei der StA Braunschweig im Fall Maddie dauern noch an. Das Mädchen Maddie McCann war 2007 kurz vor ihrem vierten Geburtstag aus einer Ferienanlage im portugiesischen Praia da Luz verschwunden. Ihr Fall sorgt bis heute weltweit für Aufsehen.
aka/LTO-Redaktion
EuGH zu Europäischem Haftbefehl im Fall Christian B.: . In: Legal Tribune Online, 24.09.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42901 (abgerufen am: 12.12.2024 )
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