EuGH zu Europäischem Haftbefehl gegen Puigdemont: Bel­gi­sche Gerichte dürfen Voll­st­re­ckung vor­erst nicht ablehnen

31.01.2023

Die belgischen Gerichte dürfen die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls grundsätzlich nicht wegen eines Grundes ablehnen, der sich nur aus nationalem Recht ergibt. Das entschied der EuGH.

Eine Justizbehörde darf die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls grundsätzlich nicht unter Berufung auf einen Ablehnungsgrund ablehnen, der sich lediglich aus dem Recht des vollstreckenden Mitgliedstaats ergibt. Das hat der Europäischen Gerichtshof (EuGH) am Dienstag entschieden (Urt. v. 31.01.2023, Az. C-158/21).

Vor dem spanischen Obersten Gerichtshof laufen Strafverfahren gegen Carles Puigdemont, Antoni Comín Oliveres, Lluís Puig Gordi, Clara Ponsatí Obiols und weitere Angeklagte. Hintergrund der Verfahren sind Ermittlungen gegen ehemalige katalanische Politiker, nachdem am 1. Oktober 2017 ein Referendum über die Selbstbestimmung der Autonomen Gemeinschaft Katalonien (Spanien) abgehalten worden war. Gegen die vier genannten Angeklagten hatte der Oberste Gerichtshof im Herbst 2019 Europäische Haftbefehle erlassen, da einige der Angeklagten das Land verlassen hatten.

Daraufhin wurden im Vereinigten Königreich (gegen Ponsatí) und in Belgien (gegen die drei anderen) Vollstreckungsverfahren eingeleitet. Während die belgischen Vollstreckungsverfahren in Bezug auf Puigdemont und Comín ausgesetzt wurden, nachdem sie ein Mandat als Mitglieder des Europäischen Parlaments erhalten hatten, wurde das Vollstreckungsverfahren gegen Puig weiter betrieben und die Vollstreckung letztlich abgelehnt. Die belgischen Gerichte begründeten die Ablehnung damit, dass der spanische Oberste Gerichtshof für das Strafverfahren gegen Puig örtlich nicht zuständig sei.

Spanischer Oberster Gerichtshof legte EuGH vor

Um entscheiden zu können, wie er weiter vorzugehen hat, also ob die Europäischen Haftbefehle aufrechterhalten oder aufgehoben werden sollen oder es etwa zum Erlass neuer Europäischer Haftbefehle kommen soll, hat der spanische Oberste Gerichtshof den EuGH um Auslegung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl ersucht. Er wollte wissen, ob und ggfs. unter welchen Voraussetzungen die vollstreckende Justizbehörde einen Europäischen Haftbefehl aus Gründen ablehnen kann, die im Rahmenbeschluss nicht ausdrücklich vorgesehen sind, insbesondere weil die ausstellende Justizbehörde unzuständig sei und die ernsthafte Gefahr einer Verletzung der Grundrechte im Ausstellungsstaat bestehe.

Generalanwalt Richard de la Tour hat in seinen Schlussanträgen vom 14. Juli 2022 die Ansicht vertreten, dass eine Justizbehörde die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls nicht mit der Gefahr der möglichen Verletzung des Rechts der gesuchten Person auf ein faires Verfahren begründen könne, sofern keine systemischen oder allgemeinen Mängel im Justizsystem des ausstellenden Mitgliedstaats dargelegt sind.

Nationalgesetzliche Ablehnungsgründe zählen nicht

Dieser Ansicht schloss sich der EuGH nun an. Eine vollstreckende Justizbehörde sei nicht befugt, die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls unter Berufung auf einen Ablehnungsgrund abzulehnen, der nur aus dem Recht des jeweiligen Vollstreckungsmitgliedstaats hervorgeht, so der EuGH. In einem solchen Fall könne der Rahmenbeschluss nicht mehr einheitlich angewandt werden, da das Recht des jeweiligen vollstreckenden Mitgliedstaats einbezogen werden müsse.

Ausnahmen müssten jedoch für den Fall gelten, dass die Vollstreckung ansonsten zu einem Grundrechtsverstoß führen würde, der im Unionsrecht geregelt ist, so der EuGH. Wenn die gesuchte Person geltend mache, dass ihr bei einer Übergabe an den Ausstellungsmitgliedstaat, im vorliegenden Fall Spanien, eine Verletzung ihres Rechts auf ein faires Verfahrend drohe, muss die vollstreckende Justizbehörde, hier die belgischen Gerichte, die Stichhaltigkeit dieser Behauptung untersuchen.

So müsse zunächst einmal in Belgien überprüft werden, ob aufgrund systemischer oder allgemeiner Mängel des Justizsystems in Spanien eine echte Gefahr der Verletzung dieses Rechts besteht. Im zweiten Schritt müsse konkret geprüft werden, ob es in Anbetracht der persönlichen Situation dieser Person, der Art der Straftat und des Sachverhalts ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme gibt, dass die Person bei einer Übergabe Gefahren ausgesetzt wird. Nur wenn die belgischen Gerichte solche Mängel und eine offensichtlich fehlende Zuständigkeit des Gerichts bejahen, dürfe die Vollstreckung abgelehnt werden, schloss der EuGH.

ku/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

EuGH zu Europäischem Haftbefehl gegen Puigdemont: Belgische Gerichte dürfen Vollstreckung vorerst nicht ablehnen . In: Legal Tribune Online, 31.01.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50933/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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