EuGH zu russischsprachigem Sender: Hass-TV nur hinter der Pay­wall

von Dr. Markus Sehl

04.07.2019

Wenn ein russischsprachiger TV-Sender mit Falschinformationen zu Hass, Krieg und Diskriminierung aufruft, darf ein EU-Staat ihn hinter die Bezahlschranke verbannen. Das hat der EuGH entschieden und damit Litauen Recht gegeben.

Der Verbreitungsweg eines ausländischen Fernsehkanals darf zum Schutz vor Hass-Propaganda staatlich beschränkt werden. Das hat am Donnerstag der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem Vorabentscheidungsersuchen entschieden (Urt. 04.07.2019, Az. C-622/17). Die Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste hindere einen Mitgliedstaat nicht daran, eine entsprechende Maßnahme zu erlassen, damit der Kanal nur in kostenpflichtigen Fernsehprogrammpaketen ausgestrahlt werden kann.

Die Baltic Media Alliance, eine in Großbritannien eingetragene Gesellschaft, strahlt den Fernsehkanal NTV Mir Lithuania aus. Der Kanal ist für das litauische Publikum bestimmt, seine Sendungen sind mehrheitlich in russischer Sprache.

Am 18. Mai 2016 erließ die litauische Radio- und Fernsehkommission (RFKL) nach litauischem Recht eine Maßnahme, mit der Wirtschaftsteilnehmer, die im Wege von Kabelfernsehen oder Internet Fernsehkanäle an litauische Verbraucher verbreiten, für einen Zeitraum von zwölf Monaten dazu verpflichtet wurden, den Kanal NTV Mir Lithuania nur noch in kostenpflichtigen Fernsehprogrammpaketen zu verbreiten.

Hass-Propaganda im Free-TV

Diese Entscheidung beruhte darauf, dass der Kanal am 15. April 2016 eine Sendung "Ypatingas įvykis. Tyrimas" (in etwa: "Außergewöhnliches Ereignis – Ermittlung") ausstrahlte mit Informationen, die geeignet waren, zu Hass in Litauen und dem Baltikum aufzustacheln.

Daraufhin klagte die Mediengesellschaft gegen die Entscheidung. Sie machte unter anderem geltend, dass die Entscheidung der litauischen Behörde einen Verstoß gegen die Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (Richtlinie 2010/13/EU) darstelle. In Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie heiße es: "Die Mitgliedstaaten gewährleisten den freien Empfang und behindern nicht die Weiterverbreitung von audiovisuellen Mediendiensten aus anderen Mitgliedstaaten in ihrem Hoheitsgebiet aus Gründen, die Bereiche betreffen, die durch diese Richtlinie koordiniert sind." Die Mitgliedstaaten seien deshalb verpflichtet, den freien Empfang zu gewährleisten, so die Mediengesellsschaft. Das Regionale Verwaltungsgericht Vilnius legte schließlich dem EuGH die Auslegungsfrage vor, ob die Maßnahme überhaupt unter die EU-Richtlinie falle.

Die Zweite Kammer des EuGH führt nun aus, dass die litauische Fernsehkommission (RFKL) ihre Entscheidung vom 18. Mai 2016 getroffen habe, weil die auf dem Kanal NTV Mir Lithuania ausgestrahlten Sendungen Falschinformationen enthalten habe, die zu Feindseligkeit und Hass gegen die baltischen Länder aufgerufen haben sollen.

Die Falschinformationen hätten insbesondere die Kollaboration von Litauern und Letten im Rahmen des Holocaust sowie die angeblich nationalistische und neonazistische Innenpolitik der baltischen Staaten – einer Politik, die angeblich eine Bedrohung für die russische Minderheit im Hoheitsgebiet dieser Länder darstelle – betroffen.

Bezahlschranke ist als Sicherheitsmaßnahme erlaubt

Die Sendung habe sich somit gezielt an die russischsprachige Minderheit Litauens gerichtet und mittels verschiedener Propagandatechniken darauf abgezielt, die Meinung dieser Gruppe zur Innen- und Außenpolitik der Republik Litauen, der Republik Estland und der Republik Lettland negativ und suggestiv zu beeinflussen, die Spaltung und Polarisierung der Gesellschaft zu betonen und den Schwerpunkt auf die durch die westlichen Länder erzeugten Spannungen in der Region Osteuropa sowie auf die Opferrolle der Russischen Föderation zu legen.

Die litauische Regierung und ihre Fernsehkommission hatten indes argumentiert, dass die Maßnahme ausschließlich die Modalitäten der Verbreitung des Kanals an die litauischen Verbraucher geregelt habe. Entscheidend für den EuGH war aber nur, dass die Weiterverbreitung nicht ausgesetzt oder verboten worden sei, sondern die litauischen Verbraucher ihn jederzeit anschauen könnten, sofern sie ein Bezahlpaket erwerben. Damit fiele die Maßnahme nicht unter Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2010/13.

Im Ergebnis folgt der EuGH in seiner Entscheidung damit den Schlussanträgen des Generalanwalts beim Europäischen Gerichtshof Henrik Saugmandsgaard Øe vom 28. Februar 2019.

Zitiervorschlag

EuGH zu russischsprachigem Sender: . In: Legal Tribune Online, 04.07.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36305 (abgerufen am: 05.10.2024 )

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