In Deutschland wird auf die Bundesnetzagentur zu viel politischer Einfluss ausgeübt, findet der EuGH. Nun muss eine umfangreiche Reform des Energierechts stattfinden.
Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) muss Deutschland sein Energierecht umfangreich ändern und die Rolle der Bundesnetzagentur neu definieren. Das höchste europäische Gericht gab am Donnerstag einer von der EU-Kommission erhobenen Klage gegen die Bundesrepublik in vollem Umfang statt. Demnach wurden in Deutschland Vorgaben der EU-Elektrizitätsrichtlinie und der EU-Erdgasrichtlinie nicht ordnungsgemäß umgesetzt (Urt. v. 02.09.2021, Rs. C-718/18).
Im Kern geht es bei den Vorwürfen um die Rolle der Bundesnetzagentur als Regulierungsbehörde - deren Entscheidungsspielraum ist aus Sicht der Richterinnen und Richter nicht groß genug. Derzeit legt die Bonner Behörde Netzentgelte auf Basis von Regeln fest, die die Politik beschlossen hat. Aus Sicht der für die Einhaltung von EU-Recht zuständigen EU-Kommission ist die Behörde nicht unabhängig genug – sie sollte nach eigenem Ermessen handeln können, also ohne dass sie an politische Vorgaben gebunden ist.
Das Urteil dürfte den Einfluss der Bundesnetzagentur im Geschäftsbereich des Bundeswirtschaftsministeriums deutlich stärken. So muss der Bund nun die Berechnung der Netzentgelte auf neue Füße stellen und die Rolle der Bonner Behörde neu definieren.
Zunächst keine Folgen für Endverbraucher
In der Energiebranche wird befürchtet, dass die Regulierer ein Eigenleben entwickeln und Entscheidungen fällen könnten, die zu Lasten der Wirtschaft gehen könnten. Sicher ist, dass die Branche wegen der Energiewende vor großen Herausforderungen steht - aus Sicht der Firmen entsteht nun eine Unsicherheit, die unangebracht ist.
Für den Endverbraucher ergeben sich zunächst keine Folgen. Möglicherweise könnte diese Entscheidung mittelfristig sogar etwas günstigere Tarife für den Endverbraucher zur Folge haben – letztlich ist das aber noch völlig offen.
Netzentgelte sind Gebühren, die erhoben werden, wenn der Energieanbieter Strom durch die Versorgungsnetze des Netzbetreibers leitet. Dem Verbraucher werden sie dann vom Energieanbieter in Rechnung gestellt und sind ein Bestandteil des Strompreises – neben Preisen für die Beschaffung und den Vertrieb des Stroms sowie etwa der EEG-Umlage zur Förderung des Ökostroms.
Abgeordnete: "Klatsche für die Bundesregierung"
Mit dem Urteil setzt sich die EU-Kommission in dem Vertragsverletzungsverfahren auf ganzer Linie durch, für die Bundesregierung ist die Luxemburger Entscheidung ein Rückschlag. Ingrid Nestle von der oppositionellen Grünen-Bundestagsfraktion sprach von einer "Klatsche für die Bundesregierung". Das Bundeswirtschaftsministerium teilte mit, man nehme das Urteil zur Kenntnis. "Aussagen zu den konkreten Auswirkungen des Urteils und notwendigen Anpassungen des Rechtsrahmens sind erst nach sorgfältiger Prüfung möglich", hieß es weiter.
Jochen Homann, Präsident der Bundesnetzagentur, sagte, die Behörde werde rechtliche Unsicherheiten in der Übergangsphase so weit wie möglich reduzieren. "Wir gewährleisten Rechtssicherheit für die Investitionen, die zur Erreichung der Klimaschutzziele essenziell sind."
Beim Verband Kommunaler Unternehmen (VKU), der unter anderem Verteilnetzbetreiber und Stadtwerke vertritt, verstärkten sich am Donnerstag die Sorgenfalten. Verbandschef Ingbert Liebing sagte, dem Gesetzgeber sei es nach dem Urteil kaum möglich, Vorgaben zu konkretisieren und dadurch weitere Investitionsanreize für die Energiewende zu schaffen - täte er das dennoch, würde er gegen EU-Recht verstoßen. "Für die kommunalen Netzbetreiber bedeutet dies zusätzliche Unsicherheiten bezüglich der Planungs- und Investitionssicherheit, die für den weiteren Aus- und Umbau sowie die Digitalisierung der kommunalen Strom- und Gasnetze notwendig sind."
dpa/pdi/LTO-Redaktion
EuGH gibt Klage der EU-Kommission statt: . In: Legal Tribune Online, 02.09.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45906 (abgerufen am: 11.10.2024 )
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