Die Richtlinie für genetisch veränderte Organismen sieht Ausnahmen vor, bei der Organismen auch ohne umfassendes Prüfverfahren in Umlauf gebracht werden können. Die Ausnahme gilt auch für die In-vitro-Zufallsmutagenese, entschied der EuGH.
Eine europäische Richtlinie (GVO-RL 2001/18/EG) bestimmt eine gemeinsame Vorgehensweise, um die Umweltverträglichkeit von genetisch veränderten Organismen (GVO) zu beurteilen. Sie legt darüber hinaus gemeinsame Ziele für die Überwachung nach dem Inverkehrbringen oder die absichtliche Freisetzung solcher Organismen fest. Die Richtlinie sieht grundsätzlich eine Genehmigung, eine Kennzeichnung und die Überwachung vor. Von diesen Regelungen können Ausnahmen zugelassen werden, sodass bestimmte Formen der Mutagenese nicht erfasst werden. Ausnahmen dürften die Mitgliedstaaten davon allerdings nur machen, wenn die Organismen durch ein bereits etabliertes und seit langem als sicher geltendes Verfahren erzeugt wurden.
Die Anwendung einer solchen Ausnahme gewährte der Europäische Gerichtshof (EuGH), entgegen einer vorherigen Entscheidung aus 2018, nun für die In-vitro-Zufallsmutagenese (Rechtssache C-688/21). Bei der Zufallsmutagenese wird die Häufigkeit der spontanen genetischen Mutationen lebender Organismen erhöht. Das Verfahren kann in vitro (die Mutagene wird auf Pflanzenzellen angewandt, und die vollständige Pflanze wird anschließend künstlich zusammengesetzt) oder in vivo (die Mutagene wird auf die ganze Pflanze oder auf Pflanzenteile angewandt) eingesetzt werden.
Im Jahr 2015 erhoben ein französischer Landwirtschaftsverband (die Confédération paysanne) sowie acht Vereinigungen, deren Zweck der Umweltschutz ist, beim Conseil d'État (Staatsrat, das oberste Verwaltungsgericht Frankreichs) eine Klage gegen die absichtliche Freisetzung genmanipulierter Organismen in die Umwelt. Der EuGH entschied bereits 2018, dass nur die Verfahren der Mutagenese, die seit langem als sicher gelten, unter die Ausnahme der Richtlinie fallen.
Etabliert und seit langem als sicher geltend
Der Staatsrat folgerte aus der Entscheidung des EuGH, dass die genetisch veränderten Organismen, die durch das Verfahren der In-vitro-Zufallsmutagenese gewonnen wurden, in den Anwendungsbereich der VGO-Richtlinie fallen und somit den Verpflichtungen der Richtlinie unterlägen. Trotz eindeutiger Entscheidung durch den Staatsrat veranlassten die französischen Behörden keine Maßnahmen zur Durchführung derselben. Der Landwirtschaftsverband und die anderen Vereinigungen wandten sich daher erneut an den EuGH.
Die Große Kammer des EuGH stellte klar, dass es grundsätzlich gerechtfertigt sei, die Anwendung der GVO-Richtlinie für gewisse Organismen auszuschließen. Voraussetzung dafür sei, dass die Organismen durch ein Verfahren gewonnen werden, das auf den gleichen Modalitäten der Genveränderung durch ein Mutagen beruht, wie ein Verfahren, das herkömmlich angewandt wird und seit langem als sicher gilt. Ziel sei es stets, die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu schützen.
Unumkehrbare schädliche Auswirkungen möglich
Eine allgemeine Ausweitung der Ausnahmeregelung von der VGO-Richtlinie sei nicht vorgesehen und entspreche nicht dem Willen des Unionsgesetzgebers. Es könne schädliche und bisweilen unumkehrbare Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt haben, wenn man die Organismen ohne vorheriges Risikobewertungsverfahren freisetze.
Es müsse jedoch auch weiterhin einen Anwendungsbereich für die in der Richtlinie vorgesehene Ausnahme geben, so der EuGH.
Die mit In-vitro-Kulturen einhergehenden Wirkungen rechtfertigen es nach Ansicht des EuGH aber nicht, die Organismen von der Ausnahme auszuschließen. Der EuGH kommt zu dem Ergebnis, dass das Verfahren, welches die In-vitro-Kulturen betrifft, nicht unter die Anforderungen der VGO-Richtlinie fällt.
ku/LTO-Redaktion
Genetisch veränderte Organismen: . In: Legal Tribune Online, 07.02.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50998 (abgerufen am: 14.12.2024 )
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