Vor der Verhandlung über die Euro-Hilfen am Dienstag vor dem Verfassungsgericht knistert es zwischen Berlin und Karlsruhe. Auch aus Sicht der Juristen ist der Einsatz gewaltig.
Die Warnung war deutlich. "Der Tenor der Entscheidung ist knapp", sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle. "Er sollte aber nicht fehlgedeutet werden in eine verfassungsrechtliche Blanko-Ermächtigung für weitere Rettungspakete." Das war im September 2011. Die Karlsruher Richter hatten gerade die Hilfen für Griechenland und den ersten Euro-Rettungsschirm EFSF gebilligt. Oder müsste es heißen: Gerade noch gebilligt?
Ab zehn Uhr verhandelt das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) wieder über Maßnahmen zur Euro-Rettung. Diesmal geht es um den permanenten Rettungsschirm ESM sowie um den Fiskalpakt, der die Staaten künftig zu Sparsamkeit zwingen soll.
Die Antragsteller - unter anderen die Fraktion der Linken im Bundestag, der CSU-Politiker Peter Gauweiler und Vertreter des Vereins "Mehr Demokratie" - fürchten, dass die Haushaltshoheit des Bundestags ausgehöhlt wird. Für die Bundesregierung wird Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) die Maßnahmen in Karlsruhe verteidigen. Eine Entscheidung zu den Eilanträgen wird bis Ende Juli erwartet.
Ein gewaltiger Einsatz
Verfassungsrechtlich ist der Einsatz gewaltig: Die Richter haben immer wieder betont, dass das Grundgesetz zwar die Abgabe von Kompetenzen und Rechten an die Europäische Union erlaubt - dass es aber Grenzen gibt, die nicht überschritten werden können, ohne dass das Volk über eine neue, geänderte Verfassung abstimmt. Seither ist oft von einer ominösen "roten Linie" die Rede, von der seriöserweise niemand sagen kann, wo genau sie verläuft.
In der Verhandlung über die Eilanträge am Dienstag geht es zunächst allerdings nur darum, ob das Gericht dem Bundespräsidenten bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache verbietet, die Zustimmungsgesetze zu unterzeichnen. Damit würde es nochmals länger dauern, bis der Rettungsschirm ESM aktiv werden kann - eigentlich war der 1. Juli geplant. Der Fiskalpakt soll erst Anfang 2013 in Kraft treten, so dass noch etwas Zeit bliebe.
Wenn Joachim Gauck hingegen unterzeichnet, ist Deutschland völkerrechtlich an die Verträge gebunden - selbst wenn das Verfassungsgericht im Nachhinein feststellen sollte, dass sie gegen das Grundgesetz verstoßen. Eine Kündigung ist in den Verträgen nicht vorgesehen. Vor "schweren und irreversiblen" Nachteilen warnen deshalb die Kläger.
Gegenseitige Ermahnungen
Bereits vor Prozessbeginn feuerte das Gericht einen Warnschuss in Richtung Schloss Bellevue: Gauck soll auf die Bitte der Richter, mit der Unterzeichnung erstmal zu warten, sehr zurückhaltend reagiert haben. Daraufhin wiederholte das Gericht sein Anliegen öffentlich - und wies in durchaus entschiedenem Ton darauf hin, man gehe davon aus, "dass der Bundespräsident einer solchen Bitte nachkommen würde". Gauck blieb danach wohl nicht anderes mehr übrig.
Umgekehrt fehlt es nicht an Ermahnungen Richtung Karlsruhe: "Wir sind überzeugt, dass die Gesetze, die wir beschlossen haben, einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht standhalten werden", sagte Vizekanzler Philipp Rösler (FDP). Der FDP-Vorsitzende im Europaparlament, Alexander Graf Lambsdorff, bezweifelte gar die Urteilsfähigkeit der Verfassungsrichter: Diese seien "nicht mit allen Vorgängen in Europa ausreichend vertraut", meinte er. "Deshalb kommt es gelegentlich zu Fehleinschätzungen aus Unkenntnis." Starker Tobak, der selbst Parteikollegen den Kopf schütteln ließ.
Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) warnte deutlich eleganter, es hätte "heftige Folgen", wenn das Gericht Fiskalpakt und ESM kassiere - nicht nur für Deutschland, sondern für das ganze europäische Vertragssystem. "Deswegen habe ich keinen Zweifel, dass das Bundesverfassungsgericht (...) auch diese Zusammenhänge in die eigene Urteilsbildung einbeziehen wird."
Darauf sind die Richter aber auch von allein gekommen: Gleich an vier Stellen findet sich in der Verhandlungsgliederung für Dienstag eine "Folgenabwägung".
dpa/age/LTO-Redaktion
Ermahnungen und Warnschüsse: . In: Legal Tribune Online, 10.07.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6571 (abgerufen am: 14.12.2024 )
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