Druckversion
Freitag, 23.05.2025, 23:23 Uhr


Legal Tribune Online
Schriftgröße: abc | abc | abc
https://www.lto.de//recht/nachrichten/n/elektronische-beweismittel-e-evidence-referentenentwurf-bmj-ressortabstimmung
Fenster schließen
Artikel drucken
55021

LTO exklusiv: BMJ-Entwurf zu E-Evidence: Zugriff auf elek­tro­ni­sche Beweis­mittel wird erleich­tert

von Hasso Suliak

17.07.2024

Marco Buschmann (FDP)

Grenzüberschreitende Erhebung elektronischer Beweise: Marco Buschmann (FDP) legt Referentenentwurf vor. Foto: picture alliance/dpa | Michael Kappeler

Ermittler dürfen sich freuen: Deutschland schafft die Voraussetzungen für eine zügigere grenzüberschreitende Erhebung elektronischer Beweismittel innerhalb der EU. Das BMJ gab einen entsprechenden Gesetzentwurf in die Ressortabstimmung.

 

Anzeige

Digitale Medien spielen bei der Begehung von Straftaten eine zunehmend bedeutendere Rolle. Nicht nur im Bereich Cybercrime, auch zum Beispiel Eigentumsdelikte werden immer häufiger mittels elektronischer Kommunikationsmittel vorbereitet, indem etwa Tatobjekte über das Internet ausgespäht oder Verabredungen über Messenger-Dienste getroffen werden.

Sitzt der entsprechende Dienstleister wie etwa ein Telefonanbieter oder Mailprovider im europäischen Ausland, dauert es nach geltender Rechtslage oft lange, bis Ermittler an die entsprechenden Beweismittel kommen. Erst einmal muss in solchen Fällen nämlich die zuständige Behörde des jeweiligen Staates kontaktiert werden. Diese prüft dann, ob das Rechtshilfeersuchen oder eine Europäische Ermittlungsanordnung berechtigt ist, um dann ggf. den bettreffenden Dienstleister zur Herausgabe der Mails oder ähnlichem aufzufordern – ein insgesamt zeit- und ressourcenintensiver Prozess.

Damit dies künftig alles schneller geht und Ermittler ohne Umwege Dienstleister wie zum Beispiel Meta, Amazon oder Google auch direkt adressieren können, hatte die EU im Juli 2023 sowohl eine E-Evidence-Richtlinie als auch eine spezielle Verordnung beschlossen. Deutschland hatte sich lange gegen einen darin geregelten Direktzugriff auf die Dienstanbieter gewehrt. Es könne nicht sein, dass beispielsweise ungarische Ermittler ohne Einverständnis der deutschen Behörden bei der Telekom Informationen abfragen können, hatte 2018 noch die damalige SPD-Justizministerin Katharina Barley argumentiert.

Nunmehr ist FDP-Bundesjustizminister Marco Buschmann jedoch gezwungen, die EU-Vorgaben umzusetzen. Am Mittwoch gab das BMJ den entsprechenden Referentenentwurf in die Ressortabstimmung innerhalb der Bundesregierung.

Direkter Zugriff auf die Provider per Herausgabe- und Sicherungsanordnung

Das 58-seitige Regelwerk wird man vereinfacht künftig wohl als "E-Evidence-Gesetz" bezeichnen. Der komplette Titel des Gesetzes ist sperrig: "Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2023/1544 und zur Durchführung der Verordnung (EU) 2023/1543 über die grenzüberschreitende Sicherung und Herausgabe elektronischer Beweismittel im Strafverfahren innerhalb der Europäischen Union."  Erklärtes Ziel der Regeln ist, "die Effizienz der Strafverfolgung in der Bundesrepublik Deutschland und in der Europäischen Union zu steigern".

Konkret ermöglicht wird den Strafverfolgungsbehörden also künftig den Direktzugriff auf die Dienstanbieter. Dafür werden den Ermittlern zwei Instrumente an die Hand gegeben. Um unmittelbar an die elektronischen Beweismittel zu gelangen, gibt es in Zukunft die sogenannte Herausgabeanordnung. Um zu gewährleisten, dass Daten nicht gelöscht werden, die sogenannte Sicherungsanordnung.

Der Begriff des elektronischen Beweismittels ist umfassend: Gemeint sind alle digitalen Teilnehmer-, Verkehrs- oder Inhaltsdaten, die bei der Ermittlung und Verfolgung von Straftaten verwendet werden. Zu den Teilnehmerdaten zählen Daten zur Identität der betroffenen Person, wie Name, Geburtsdatum, Anschrift und andere Kontaktdaten sowie Daten zu der Art und Dauer der Dienstleistung. Verkehrsdaten sind Daten zur Erbringung der angebotenen Dienstleistung, wie beispielsweise Ursprung und Ziel einer Nachricht, der Standort eines Gerätes, das Format oder das verwendete Protokoll sowie andere Metadaten der Kommunikation über einen Dienst. Inhaltsdaten sind alle anderen in einem digitalen Format verfügbaren Daten, wie Texte, Videos und Bilder.

Nationales Recht als Maßstab

Um derartige Daten beim jeweiligen Anbieter sichern zu können, muss die Ermittlungsbehörde des Staates, der eine Anordnung erlassen möchte, zunächst die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme prüfen. Weitere Voraussetzung für die Anordnung ist, dass eine ähnliche Anordnung in einem vergleichbaren nationalen Fall unter denselben Voraussetzungen ergehen könnte. Maßstab werden hier die geplanten Regelungen zu Quick Freeze sein, wie es aus dem BMJ heißt.

Beim sogenannten Quick-Freeze-Verfahren werden Verkehrsdaten der Telekommunikation erst nach einem Verbrechen eingefroren. Es muss zunächst ein richterlicher Beschluss zur Sicherung der Daten und sodann ein weiterer Beschluss zur Auswertung der eingefrorenen Daten erwirkt werden. Justizminister Marco Buschmann (FDP) hatte bereits Ende 2022 einen Entwurf für das Quick-Freeze-Verfahren vorgelegt , nachdem der Europäische Gerichtshof die bisherige – allerdings nie angewandte – Vorratsdatenspeicherung für unvereinbar mit dem europäischen Datenschutzrecht erklärt hatte.

Wenn es demgegenüber nicht um Sicherung, sondern um Herausgabe von Daten geht, differenziert der Entwurf danach, ob sich die Herausgabeanordnung auf Teilnehmerdaten oder solche Verkehrsdaten richtet, die lediglich der Identifizierung dienen, oder aber ob sie sich auf Inhalts- sowie sonstige Verkehrsdaten bezieht. Da die erstgenannten Datenkategorien als weniger sensibel betrachtet werden, können diese unter denselben Voraussetzungen wie eine Sicherungsanordnung erlassen werden. Bei einer Anforderung, die die zweite Kategorie Daten betrifft, müssen diese Voraussetzungen nach dem Quick-Freeze-Verfahren erfüllt sein.

Zusätzlich soll gelten, dass Daten nur bei Straftaten, die im Anordnungsstaat mit einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren geahndet werden, oder bei bestimmten Straftaten in Verbindung mit Cyberkriminalität, Kinderpornografie, Fälschung im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln oder Terrorismus angefordert werden. Die Anforderung muss dem Entwurf nach durch ein Gericht erfolgen. "Zudem ist in diesen Fällen in der Regel eine Behörde im Zielstaat im Wege der 'Unterrichtung' (Notifizierung) einzubeziehen", heißt es aus dem BMJ.

Dienstanbieter in der Pflicht

Für die Entgegennahme der Herausgabe- oder Sicherungsanordnungen müssen die Diensteanbieter Empfangsbevollmächtigte in der EU vorhalten. Kommt ein Diensteanbieter einer an ihn gerichteten Anordnung nicht nachkommt, ist ein Vollstreckungsverfahren vorgesehen. Hier hat der Diensteanbieter die Möglichkeit, auf Basis eines Katalogs von Gründen Einwände gegen die Ausführung der Herausgabe- oder Sicherungsanordnung zu erheben. Zu diesen Gründen zählen, neben formalen Aspekten wie Unzuständigkeit der Anordnungsbehörde auch Immunitäten und Vorrechte sowie die Pressefreiheit.

Das BMJ verweist darauf, dass die Daten von Berufsgeheimnisträgern wie Rechtsanwälten oder Ärzten besonderen Schutz genießen. Sind die Einwände der Diensteanbieter gegen die Anforderung nicht stichhaltig, drohen Geldbußen bis zu 500.000 Euro beziehungsweise bei umsatzstarken Unternehmen davon abweichend die Verhängung einer Geldbuße "von bis zu zwei Prozent des erzielten Jahresgesamtumsatzes".

Bundesamt der Justiz überwacht Einhaltung

Dass die Diensteanbieter in Deutschland ihren Pflichten nach dem neuen Gesetz bzw. der zugrundeliegenden EU-Verordnung nachkommen, überwacht in Zukunft als zentrale Behörde das Bundesamt für Justiz. Die Bonner Behörde selbst ist nicht zur Vollstreckung im Einzelfall berufen, schreitet jedoch ein, wenn ein Diensteanbieter sich systematisch unkooperativ zeigt. Das Bundesamt ist verpflichtet, sich mit den zentralen Behörden anderer EU-Mitgliedstaaten und der EU-Kommission abzustimmen.

Eine gerichtliche Überprüfung der Anordnungen sieht das Gesetz zugunsten der betroffenen Dienstanbieter vor. Ihre Rechtsbehelfe richten sich nach der Strafprozessordnung (StPO). Im Falle der Herausgabeanordnung wird darin unter anderem auf die Vorschriften der Beschwerde nach den §§ 304 ff. StPO verwiesen. Im Falle einer Sicherungsanordnung ermöglicht der Weg über § 101a Abs. 6 S. 2 i.V.m. § 101 Abs. 7 S. 2. bis 4 StPO eine gerichtliche Überprüfung.

Inkrafttreten sollen die Regelungen im Laufe des Jahres 2026. 

  • Drucken
  • Senden
  • Zitieren
Zitiervorschlag

LTO exklusiv: BMJ-Entwurf zu E-Evidence: . In: Legal Tribune Online, 17.07.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55021 (abgerufen am: 23.05.2025 )

Infos zum Zitiervorschlag
  • Mehr zum Thema
    • Strafrecht
    • Beweise
    • Digitalisierung
    • elektronischer Rechtsverkehr
    • Europa
    • Europäische Kommission
iPhone Touch ID 20.05.2025
Ermittlungsverfahren

BGH entscheidet erstmals:

Zwangs­weises Fin­ger­auf­legen zur Smart­phone-Ent­sper­rung recht­mäßig

Der BGH hat eine lange umstrittene Frage entschieden: die Polizei darf Finger unter Zwang aufs Handy legen – jedenfalls unter bestimmten Voraussetzungen.

Artikel lesen
Eine Person präsentiert den Abschlussbericht des Ministeriums zur aktuellen Lage der Justiz in Baden-Württemberg. 19.05.2025
Justiz

Ministerium stellt Abschlussbericht vor:

Wie steht es um die Justiz in Baden-Würt­tem­berg?

Die Justiz sehen viele als verbesserungswürdiger Sektor an. Aber wo genau liegen die Probleme und wer stört sich woran? Das Justizministerium Baden-Württemberg hat nach einem mehrjährigen Beteiligungsprojekt Erkenntnisse vorgestellt.

Artikel lesen
Wahlplakate in Polen 16.05.2025
Nachrichten

Polen wählt am Sonntag:

Prä­si­den­ten­wahl mit­ent­schei­dend für Jus­tiz­re­form

Die Präsidentenwahl in Polen entscheidet mehr als nur über ein Amt – sie könnte den Kurs der Justizreform, die Zukunft des Rechtsstaates sowie die Rolle des Landes in der EU bestimmen. Europa schaut genau hin.

Artikel lesen
Ursula von der Leyen 14.05.2025
EU-Kommission

EuG gibt der New York Times Recht:

Von der Leyen darf "Pfizer­gate"-SMS nicht ein­fach zurück­halten

Milliardenschwere Impfstoff-Deals, SMS mit einem Konzernchef: Im Prozess um die Herausgabe von Ursula von der Leyens Textnachrichten gibt es ein Urteil aus Luxemburg. Wenn es keine wichtigen SMS geben sollte, müsse das gut begründet werden.

Artikel lesen
KI 13.05.2025
Künstliche Intelligenz

Künstliche Intelligenz in der Verwaltung:

Keine Ermes­sens­aus­übung durch die Maschine?

Die Verwaltung in Deutschland ächzt, der Einsatz von KI könnte für Entlastung sorgen. Doch ausgerechnet eine Norm im VwVfG, die für Beschleunigung sorgen soll, steht dem entgegen. Eine kritische Analyse von Jan Christian Swoboda.

Artikel lesen
Bundespolizisten gehen am Hauptbahnhof in München 13.05.2025
Schengen-Abkommen

BayVGH zu Kontrolle nach Österreich rechtskräftig:

Bund ver­stößt an Grenzen gegen gel­tendes Recht

Schon lange vor der jüngsten Weisung des neuen Innenministers wurde an der Grenze zu Österreich kontrolliert. Zumindest in einem Fall hat die Bundesregierung damit gegen geltendes Recht verstoßen.

Artikel lesen
logo lto karriere
TopJOBS
Logo von GvW Graf von Westphalen
Re­fe­ren­da­re (m/w/d) Stand­ort Stutt­gart

GvW Graf von Westphalen , Stutt­gart

Logo von Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg
Staats­an­wäl­tin (Rich­te­rin auf Pro­be) / Staats­an­walt (Rich­ter auf Pro­be)...

Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg , Frank­furt (Oder)

Logo von Oppenhoff
Re­fe­ren­da­re (m/w/d) al­le Fach­be­rei­che

Oppenhoff , Köln

Logo von RechtDialog Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Rechts­an­wäl­te (m/w/d) als An­ge­s­tell­te oder in frei­er Mit­ar­beit

RechtDialog Rechtsanwaltsgesellschaft mbH , 100% Re­mo­te

Logo von Oppenhoff
Re­fe­ren­da­re (m/w/d) al­le Fach­be­rei­che

Oppenhoff , Frank­furt am Main

Logo von Wolters Kluwer
Ju­rist als Pro­dukt­ma­na­ger im Be­reich Con­tent - Straf­recht (m/w/d)

Wolters Kluwer , Hürth

Logo von CMS Deutschland
Rechts­an­wäl­te (m/w/d) für den Be­reich Wirt­schafts­straf­recht

CMS Deutschland , Stutt­gart

Logo von ARQIS
Prak­ti­kan­ten (m/​w/​d) AR­QIS Sum­mer School 2025

ARQIS , Düs­sel­dorf

Mehr Stellenanzeigen
logo lto events
Moovijob Day Luxembourg in Trier

23.05.2025, Trier

Plötzlich doch selbständig? Wie aus einer Scheinselbständigkeit von Lehrkräften eine selbständige Tätigkeit werden kann

26.05.2025, Bonn

Logo von Hagen Law School in der iuria GmbH
Fachanwaltslehrgang Erbrecht im Fernstudium/ online

23.05.2025

Konfliktvermeidung durch Vertragsgestaltung und Vertragsgestaltung zur Konfliktlösung

26.05.2025, Frankfurt am Main

Matchwinner Verfahrensrecht

26.05.2025

Mehr Events
Copyright © Wolters Kluwer Deutschland GmbH