Eine Femen-Aktivistin, die oben-ohne in einer katholischen Kirche protestierte, wurde zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Die Strafe verstoße aber gegen die Meinungsfreiheit, urteilte der EGMR.
Die strafrechtliche Verurteilung einer feministischen Aktivistin wegen sexueller Entblößung in einer Kirche verstößt nach einem Urteil des Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gegen die Meinungsfreiheit (Urt. v. 13.10.2022, Antrag Nr. 22636/19).
Der Fall betrifft eine feministische Aktivistin, die Mitglied der Bewegung "Femen" war. Als Protest gegen die Haltung der katholischen Kirche zur Abtreibung, hatte sie sich oben-ohne in einer Kirche gezeigt. Sie hatte sich vor einen Altar gestellt und eine Abtreibung simuliert. Dafür wurde sie in Frankreich zu einem Monat Freiheitsstrafe verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Im Bezug auf die zivilrechtlichen Interessen musste sie 2.000 Euro für den immateriellen Schaden und 1.500 Euro für die Kosten der Gegenpartei zahlen. Das Berufungsgericht in Paris hatte das Urteil in allen Punkten bestätigt.
Politische Äußerung nur in engen Ausnahmen strafbar
Für den EGMR ist diese Strafe nicht verhältnismäßig. Das französische Gericht habe die Motive der Femen-Aktivistin nicht ausreichend berücksichtigt. Er sei erstaunt über die Art und Höhe der Strafe.
Der EGMR betonte, dass die Verhängung einer Freiheitsstrafe für eine Straftat im Bereich der politischen Äußerung nur in Ausnahmefällen mit der Meinungsfreiheit vereinbar sei. Das sei zum Besipiel bei Hassreden oder Aufstachelung zur Gewalt der Fall. Beleidigendes oder hasserfülltes Verhalten könne der Aktivistin aber nicht vorgeworfen werden. Ihr Ziel bestand darin, einen Beitrag zur öffentlichen Debatte über die Rechte der Frau auf freie Verfügung ihres Körpers, einschließlich des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch zu leisten. Die Meinungsfreiheit der Aktivistin müsse ausreichend Schutz genießen, da der Inhalt ihrer Botschaft ein Thema von öffentlichem Interesse betreffe, argumentierte der EGMR.
Zwar müsse das französische Gericht berücksichtigen, dass sie sich in einer Kirche entblößt habe. Dennoch hätten sich die Richter in dem Urteil zu sehr auf die Tatsache konzentriert, dass sie ihre Brüste in einem Gotteshaus entblößt habe. Vielmehr hätten sie die zugrundeliegende Botschaft ihres Auftritts oder die Erklärungen der Femen-Aktivistinnen über den Sinn ihrer oben-ohne-Proteste mit in ihr Urteil einbeziehen müssen.
cp/LTO-Redaktion
Oben-Ohne Protest in katholischer Kirche: . In: Legal Tribune Online, 13.10.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49884 (abgerufen am: 08.10.2024 )
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