Das in Russland geltende Verbot von "Propaganda für Homosexualität" ist diskriminierend, urteilt der EGMR. Der russische Richter Dmitry Dedov votiert dagegen und warnt vor einer Normalisierung von Homosexualität.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat Russland wegen seines Gesetzes gegen "Propaganda für Homosexualität" verurteilt. Dieses verstoße gegen das Diskriminierungsverbot sowie das Recht auf Meinungsfreiheit, befanden die Straßburger Richter (Urt. v. 20.06.2017, Az. 67667/09, 44092/12, 56717/12).
Das Gesetz erfülle keinen legitimen öffentlichen Zweck und fördere vielmehr Homophobie, heißt es in dem Urteil. Dies aber sei mit den Werten einer demokratischen Gesellschaft wie Gleichheit, Pluralismus und Toleranz unvereinbar.
Das 2013 in Russland landesweit eingeführte Gesetz sieht vor, dass bestraft wird, wer sich in Anwesenheit Minderjähriger positiv über Homosexualität äußert. Auf regionaler Ebene existieren vergleichbare Regelungen bereits seit über zehn Jahren.
Entschädigung für Aktivisten
Drei Aktivisten klagten nun gegen das Gesetz. Sie hatten zunächst dagegen protestiert, unter anderem vor einer Schule und einer Kinderbibliothek, wofür ihnen anschließend Geldbußen auferlegt wurden. Der EGMR sprach ihnen nun Entschädigungen zwischen 8.000 und 20.000 Euro zu, er erkannte eine Verletzung von Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK).
Die Richter traten damit der Ansicht der russischen Regierung entgegen, wonach es ein "Bedürfnis nach Schutz der Sitten" gebe, welches die Regulierung der öffentlichen Debatte rechtfertige. Ebenso wenig erkannten sie Risiken für die Volksgesundheit oder eine "Konversion" von Minderjährigen zur Homosexualität als legitimen Grund an.
Der russische EGMR-Richter Dmitry Dedov vertritt in seiner dissenting opinion (abweichende Meinung), die dem Urteil anhängt, dagegen die Ansicht, dass das Privatleben von Kindern wichtiger sei als die Meinungsfreiheit von Homosexuellen. Er zieht daraus den Schluss, dass diese hier nicht verletzt sein könne.
Richter Dedov befürchtet Gefahr von sexuellem Missbrauch
"Die Idee, dass gleichgeschlechtliche sexuelle Beziehungen normal sind, schafft eine Situation, in der sie (Kinder) bereit sind, solche Beziehungen einzugehen, einfach aus Neugierde", schreib Dedov. Das aber berge die Gefahr von sexuellem Missbrauch.
In Moskauer Regierungskreisen wurde das Urteil negativ aufgenommen. Es sei politisch motiviert, mutmaßte der Vorsitzende im Außenausschuss des Parlaments, Leonid Sluzki. "Der Gerichtshof wird immer wieder genutzt, um Russland anzuschwärzen." Das russische Justizministerium kündigte an, das noch nicht rechtskräftige Urteil von der Großen Kammer überprüfen zu lassen.
Russland behält sich zudem durch ein eigenes Gesetz von 2015 vor, Urteile des EGMR von seinem nationalen Verfassungsgericht überprüfen zu lassen. Das steht im Gegensatz zu Russlands Verpflichtung, als Mitglied des Europarats die Urteile aus Straßburg umzusetzen.
dpa/mam/LTO-Redaktion
Anti-Schwulen-Gesetze: . In: Legal Tribune Online, 20.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23236 (abgerufen am: 03.10.2024 )
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