Nach dem gescheiterten Putsch im Sommer 2016 waren tausende türkische Richter und Staatsanwälte entlassen und verurteilt worden. Hunderte wandten sich an den EGMR, der ihnen wiederholt Recht gibt.
Untersuchungshaft darf nur aufgrund eines begründeten Verdachts verhängt werden und Inhaftierte müssen in angemessenen zeitlichen Abständen einem Richter vorgeführt werden. Dem hat die Türkei nicht Genüge getan, wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) am Dienstag entschied (Urt. v. 3.3.2020, Az. 66448/17, Baş v. Turkey).
Hakan Baş war Richter in der Provinz Kocaeli in der Türkei. Im Zuge des Putsches im Sommer 2016 gehörte er zu den 2.735 Richtern und Staatsanwälten, die aus dem Dienst entlassen und umgehend in Untersuchungshaft genommen wurden. Baş wurde später wegen Mitgliedschaft in der von der Türkei als terroristisch eingestuften und für den Putsch verantwortlich gemachten Gülen-Bewegung zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt.
Vor dem EGMR wies Baş alle Vorwürfe zurück. Er machte geltend, durch die Untersuchungshaft in Art. 5 Europäische Konvention für Menschenrechte (EMRK), der das Recht auf Freiheit und Sicherheit schützt, verletzt worden zu sein. Für die Untersuchungshaft habe es keinen ausreichenden Verdacht gegeben und er sei außerdem jahrelang keinem Richter vorgeführt worden. Die Türkei rechtfertigte das mit der juristischen Figur des "in flagrante delicto", wonach für auf frischer Tat ertappte Täter besondere Regeln Anwendung finden.
EGMR: Unbillig und ohne Rechtssicherheit
Der EGMR gab Baş in seinem heutigen Urteil vom Dienstag Recht. Die Anordnung von Untersuchungshaft setze nach Art. 5 Abs. 1 EMRK voraus, dass ein hinreichender Verdacht bezüglich einer Straftat bestünde. Ein solcher sei jedoch von den türkischen Behörden nicht nachgewiesen worden. Auch sei Art. 5 Abs. 4 EMRK verletzt, da nicht innerhalb kurzer Frist ein Richter über die Untersuchungshaft entschieden habe. Das ganze Konzept des "in flagrante delicto" sei im Hinblick auf die Rechtssicherheit problematisch und im Übrigen völlig unbillig.
Der EGMR hat die Türkei daher verurteilt, dem ehemaligen Richter Baş 6.000 Euro Schmerzensgeld und 4.000 Euro Schadensersatz zu zahlen.
Bereits im April 2019 hatte der EGMR in einem vergleichbaren Fall entschieden. Auch die Untersuchungshaft eines ebenfalls im Rahmen des Putsches festgenommenen türkischen Verfassungsrichters hatte der EGMR als einen Menschenrechtsverstoß eingeordnet.
ast/LTO-Redaktion
mit Materialien der dpa
EGMR verurteilt Türkei: . In: Legal Tribune Online, 03.03.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40601 (abgerufen am: 10.10.2024 )
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