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EGMR zum Heimunterricht: Reli­giöse Schul­gegner schei­tern mit Beschwerde

10.01.2019

Dirk (l) und Petra Wunderlich (r) stehen am 06.04.2017 in Straßburg mit ihren vier Kindern vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

(c) dpa

Wo lernen Kinder am besten? Zuhause. Das jedenfalls meint eine christliche Familie aus Hessen und legte sich mit den Behörden an. Diese brachten die Kinder daraufhin im Heim unter. Das war keine Menschenrechtsverletzung, so der EGMR.

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Hartnäckige Schulgegner aus Hessen sind mit einer Beschwerde gegen Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gescheitert. Das Straßburger Gericht sieht die Rechte der christlichen Familie durch die kurzzeitige Unterbringung ihrer Kinder im Heim nicht verletzt, wie aus einem am Donnerstag veröffentlichten Urteil hervorgeht (v. 10.01.2019, Beschwerde-Nr.: 18925/15).

Dirk und Petra Wunderlich aus der Nähe von Darmstadt hatten sich aus religiösen Gründen geweigert, ihre vier Kinder in die Schule zu schicken. Nachdem Bußgelder gegen die Eltern wirkungslos blieben, übertrug das Familiengericht Darmstadt das Aufenthaltsbestimmungsrecht über die Kinder dem Jugendamt. Unabhängig von der Frage, ob die Kinder im Heimunterricht ausreichend lernen, hindere der Unterricht zu Hause die Kinder daran, ein Teil der Gemeinschaft zu werden und soziale Kompetenzen zu entwickeln, so das Gericht.

Das Landgericht (LG) Frankfurt bestätigte die Entscheidung später. Zwischenzeitliche Versuche des Jugendamts, die Kinder einer Lernbewertung zu unterziehen, scheiterten am Widerstand der Eltern und der Kinder. Schließlich brauchten die Behörden die Kinder im August 2013 für drei Wochen in einem Heim unter, um die Schulpflicht durchzusetzen. Die Eltern erklärten sich daraufhin bereit, ihren Kindern den Schulbesuch zu erlauben.

Vater: "Entführte" und "weggezerrte" Kinder

Nach einem Schuljahr nahm das Paar die Kinder dann aber wieder von der Schule. In dem daraufhin anschließenden Verfahren übertrug das LG Frankfurt den Eltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht aber wieder zurück, weil sich die Situation im Vergleich zum Vorjahr geändert habe. Eine zwischenzeitlich erfolgte Bewertung habe nämlich ergeben, dass das Lernniveau der Kinder keinen Grund zur Sorge bereitet und sie nicht gegen ihren Willen von der Schule ferngehalten werden. Eine Trennung von den Eltern sei deshalb nicht mehr verhältnismäßig und würde den Kindern mehr schaden, als zuhause unterrichtet zu werden.

Die Eltern sehen durch die kurzzeitige Unterbringung der Kinder nach dem Sorgerechtsentzug im Heim ihr Menschenrecht auf Familienleben verletzt. Die Tür ihres Hauses sei damals mit einem Rammbock geöffnet, die Wohnung "gestürmt", die Eltern zur Seite gestoßen und die Kinder "weggezerrt" worden, sagte der Vater vor knapp zwei Jahren bei einem Besuch in Straßburg. Der Staat habe kein Recht, Kinder wegen Heimunterrichts aus ihren Familien zu "entführen." Und weiter: "Wir haben uns entschieden, unsere Kinder zuhause zu unterrichten, weil wir glauben, dass das die beste Umgebung für sie ist, um zu lernen und zu gedeihen."

EGMR: Mangelnde Kooperationsbereitschaft der Eltern verschärfte Situation

Die Straßburger Richter entschieden nun, dass mit dem teilweisen Sorgerechtsentzug zwar in das Recht auf Familienleben eingegriffen worden sei. Die Gründe dafür seien aber "relevant und ausreichend" gewesen. So hätten die deutschen Behörden Grund zur Annahme gehabt, dass die Kinder in Gefahr schwebten, isoliert waren und keinen Kontakt zu Menschen außerhalb der Familie hatten.

Die Maßnahmen seien zudem verhältnismäßig gewesen, denn andere Maßnahmen hätten den Behörden nicht mehr zur Verfügung gestanden. Zudem hätten die Eltern weniger strenge Maßnahmen durch fehlende Kooperation mit den Behörden verhindert und selbst dazu beigetragen, Sorgen um das Kindeswohl zu begründen.

Das Bundesverfassungsgericht begründete das Verbot von Heimunterricht 2014 mit dem Interesse der Allgemeinheit, religiös oder weltanschaulich motivierten Parallelgesellschaften entgegenzuwirken. In anderen europäischen Ländern sind die Regeln für das sogenannte Homeschooling weitaus weniger streng. Der EGMR urteilte jedoch bereits 2006: Es gibt kein Recht auf Heimunterricht.

acr/LTO-Redaktion

mit Materialien der dpa

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Zitiervorschlag

EGMR zum Heimunterricht: . In: Legal Tribune Online, 10.01.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/33143 (abgerufen am: 14.05.2025 )

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