Ein Urteil mit Bosman-Potential: Der EuGH hat entschieden, dass ein Teil der Vorschriften der FIFA-Transferregeln die Freizügigkeit der Spieler und den Wettbewerb zwischen Vereinen unnötig einschränken und damit gegen Unionsrecht verstoßen.
Im Streit um Transferregeln der FIFA für Fußballspieler hat der Verband vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) eine Niederlage erlitten. Bestimmte Vorschriften verstoßen gegen EU-Recht, wie der EuGH in Luxemburg entschied. Die vom EU-Recht gewährte Freizügigkeit der Spieler und der Wettbewerb zwischen den Vereinen werden laut Gericht durch die Regeln, mit denen sich der EuGH befasste, eingeschränkt (Urt. v. 04.10.2024, Az. C-650/22). Diese Entscheidung erinnert an die historische Bosman-Rechtsprechung, die 1995 das Transfersystem im europäischen Fußball grundlegend veränderte, indem sie den Spielern erweiterte Freizügigkeitsrechte zusprach.
Im Zentrum des Falls steht die Klage des ehemaligen französischen Fußballprofis Lassane Diarra. 2013 unterschrieb Diarra einen Vertrag bei Lokomotive Moskau, den er jedoch nach nur einem Jahr einseitig kündigte – ohne triftigen Grund, wie das internationale Sportschiedsgericht CAS später feststellte. Der Spieler wollte anschließend zum belgischen Klub Charleroi wechseln, doch dieser Plan scheiterte. Charleroi fürchtete massive Sanktionen, da nach FIFA-Regeln der neue Verein für die Entschädigung des früheren Klubs mithaftet, wenn der Spieler den Vertrag gebrochen hat. In Diarras Fall betrug die Entschädigungssumme über 10 Millionen Euro. Noch gravierender: Einem Klub droht eine Transfersperre von einem Jahr, wenn er den Spieler zu einem Vertragsbruch angestiftet hat – eine Vermutung, die laut FIFA-Regeln bereits von vornherein nahegelegt wird.
Diarra klagte daraufhin gegen die FIFA und machte geltend, dass die übermäßig harten Regeln einen Wechsel zu Charleroi unmöglich gemacht hätten. Das Berufungsgericht im belgischen Mons legte dem EuGH schließlich die Frage vor, ob diese Regelungen gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 45 AEUV sowie gegen das Kartellverbot aus Art. 101 AEUV verstoßen. Beides bejahte der EuGH.
FIFA-Regeln schießen übers Ziel hinaus
Die Luxemburger Richter erkannten eine Behinderung der Freizügigkeit von Berufsfußballspielern, die zu einem Verein in einem anderen Mitgliedstaat wechseln möchten. Diese Regelungen belasten die Spieler und die Vereine, die sie verpflichten wollen, mit erheblichen rechtlichen und finanziellen Unsicherheiten sowie sportlichen Risiken. In ihrer Gesamtheit können diese Faktoren den internationalen Transfer der Spieler erschweren oder unmöglich machen, begründete das Gericht.
Zwar sieht der EuGH die Möglichkeit, dass die Beschränkung der Freizügigkeit durch das legitime Ziel gerechtfertigt sein könnte, den ordnungsgemäßen Ablauf der Fußballwettbewerbe zu sichern und eine gewisse Stabilität in den Mannschaften zu gewährleisten. Im vorliegenden Fall scheint es jedoch so, dass die Bestimmungen – vorbehaltlich einer Prüfung durch die Cour d’appel de Mons – "in mehrerlei Hinsicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist", so der EuGH.
Konkret beanstandet der EuGH, dass die pauschale Regelung, dass ein Verein gesamtschuldnerisch mit einem möglicherweise vertragsbrüchigen Spieler auf Entschädigung hafte, unverhältnismäßig sei, schon weil diese nicht auf den Einzelfall abstellt. Auch die in den Regeln festgehaltene Sanktion für den neuen Verein, nämlich für zwei Transferperioden keine Transfers mehr tätigen zu dürfen, sei "ohne jedes Verhältnis" zum Verstoß. Weiter sei die Vermutung, dass der neue Verein den Spieler zum Vertragsbruch angestiftet habe als Voraussetzung für diese Rechtsfolge, nicht tragfähig.
EuGH: Es geht um finanzielle Interessen, nicht um Sport
Eindeutig unverhältnismäßig sei auch die Regel, wonach es dem früheren Fußballverband, wie etwa dem DFB, grundsätzlich und automatisch verboten ist, ein Transferzertifikat auszustellen, wenn zwischen dem früheren Verein und dem Spieler ein Vertragsstreit besteht. Diese Regel könne dazu führen, dass der Spieler nicht arbeiten darf und der neue Verein ihn nicht einsetzen kann, nur weil ein Streit über die vorzeitige Auflösung des Vertrags besteht. Das verstoße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, besonders weil die Regel nicht die Umstände des Einzelfalls berücksichtigt, wie den tatsächlichen Hintergrund der Vertragskündigung, das Verhalten des Spielers und des alten Vereins sowie die mögliche Unbeteiligtheit des neuen Vereins, der unter dem Verbot leidet.
Insgesamt schlussfolgert der EuGH, dass die Transferregeln die Karriere von Spielern stark beeinträchtigen, wenn nicht sogar im Einzelfall dazu führen können, dass diese ihre Karriere vorzeitig beenden müssen. Die Regeln dienten offenbar dazu, die finanziellen Interessen der Vereine bei Spielertransfers zu wahren. Für die Gewährleistung des reibungslosen Ablaufs von Sportwettbewerben seien sie wohl nicht erforderlich.
Im Hinblick auf das Wettbewerbsrecht stellte der EuGH fest, dass die beanstandeten Regelungen den grenzüberschreitenden Wettbewerb zwischen Profifußballvereinen in der Union einschränken oder sogar verhindern könnten. Dies gilt insbesondere, wenn Spieler, die bei einem anderen Verein unter Vertrag stehen oder denen vorgeworfen wird, ihren Vertrag ohne triftigen Grund aufgelöst zu haben, einseitig verpflichtet werden.
Der Gerichtshof erklärte, dass der Wettbewerb um bereits ausgebildete Spieler im professionellen Fußball eine zentrale Rolle spiele. Regelungen, die diesen Wettbewerb allgemein beschränken, indem sie die Verteilung der Spieler auf die Vereine regeln und den Markt abschotten, ähneln Abwerbeverboten. Auch hier bleibt die abschließende Prüfung der Regelungen durch die Cour d’appel de Mons vorbehalten.
Sportrechtler: "EuGH zerlegt die FIFA-Regeln"
Prof Dr. Alexander Scheuch berichtete bereits bei LTO darüber, dass der EuGH möglicherweise die FIFA-Regeln zu Vertragsbrüchen und Transfers für unionsrechtswidrig erklären könnte, was das gesamte Transfersystem im Profifußball verändern würde. Die Niederlage der FIFA war für den Bonner Professor für Zivil- und Wirtschaftsrecht allerdings absehbar.
Wie deutlich die ausfiel, überraschte aber auch ihn: "Der EuGH zerlegt die FIFA-Regeln zu Transfers vertragsbrüchiger Spieler nach allen Regeln der Kunst", so Scheuch am Freitag gegenüber LTO. Der EuGH "geht angesichts der drastischen Sanktionen sogar von einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung aus. Das FIFA-Reglement wird letztlich als kartellrechtswidriges Abwerbeverbot eingestuft."
Obwohl der EuGH es grundsätzlich als ein legitimes Ziel ansieht, ein uneingeschränktes Hin- und Herwechseln von Spielern zu unterbinden, ist nach Einschätzung von Scheuch angesichts des Urteils fraglich, wie viel Spielraum für den Weltverband noch bestehe. "Die FIFA wird ihre Vorschriften jedenfalls gründlich auszumisten haben", so Scheuch.
Auch der Kölner Straf- und Sportrechtler Prof. Dr. Jan F. Orth hält den Handlungsspielraum der FIFA nach dem Urteil für stark begrenzt. Die FIFA müsse nun auch ähnliche Bestimmungen ihres Transferstatuts, daraufhin prüfen, ob sie die Arbeitnehmerfreizügigkeit und den Wettbewerb unzulässig beschränken. "Dass all diese Bestimmungen diese hohen Hürden meistern, erscheint mir sehr zweifelhaft", so Orth gegenüber LTO.
Was Diarras Verfahren anbelangt, bleibe die Einschätzung des Berufungsgerichts in Mons abzuwarten. Doch rechnet Orth angesichts der "Tatsache, dass der EuGH die zu überprüfenden Vorschriften des Transferstatuts als eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung einstuft", mit einem Sieg Diarras.
xp/fz/mk/LTO-Redaktion
Mit Material von dpa
Red. Hinweis: aktualisierte Fassung vom 04.10.2024, 13:25 Uhr.
EuGH kippt Strafregelung: . In: Legal Tribune Online, 04.10.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55558 (abgerufen am: 08.11.2024 )
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