Um afghanischen Frauen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, reicht die Angabe von Geschlecht und Staatsangehörigkeit, entschied der EuGH. Allein die diskriminierenden Regeln des Taliban-Regimes verletzten Frauen in ihren Menschenrechten.
Die Machtübernahme der Taliban im Jahr 2021 hat in Afghanistan nicht nur die politischen Strukturen des Landes erschüttert, sondern auch das Leben von Millionen Frauen in eine existenzielle Krise gestürzt: Junge Frauen werden oft zwangsverheiratet, Behörden helfen ihnen nicht, um sich Misshandlungen ihrer Ehemänner zu erwehren. Sie müssen ihren Körper verhüllen, dürfen sich nur unter erheblichen Einschränkungen öffentlich bewegen und haben wenig Zugang zu Gesundheitsversorgung. Dazu kommen Arbeitsverbote und der Ausschluss von weiterführenden Schulen. Reicht all das bereits, um als politisch verfolgt im Sinne des Asylrechts zu sein?
Das beantwortete der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Freitag mit einem klaren Ja. Die diskriminierenden Maßnahmen und Gesetze des Taliban-Regimes gegen Frauen gelten bereits für sich als Verfolgungshandlungen, die eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft rechtfertigen (Urt. v. 04.10.2024, Az. C-608/22 und C-609/22).
Angabe von Geschlecht und Staatsangehörigkeit reicht
Die praktische Auswirkungen für die nationalen Asylbehörden sind erheblich: Bei der individuellen Prüfung des Asylantrags afghanischer Frauen reicht demnach die Feststellung von Geschlecht und Staatsangehörigkeit, um die Gefahr einer Verfolgung anzunehmen. Weitere Aspekte individueller Verfolgung müssen Afghaninnen nicht darlegen.
Der EuGH begründete seine Entscheidung damit, dass einige der Maßnahmen, wie etwa die Zwangsverheiratung oder das Fehlen eines Schutzes gegen geschlechtsspezifische Gewalt, bereits für sich genommen schwerwiegende Grundrechtsverletzungen darstellen. Deshalb seien sie zwingend als Verfolgung zu bewerten. Noch gewichtiger sei aber die kumulative Wirkung dieser Maßnahmen: Durch die systematische Anwendung dieser Diskriminierungen wird Frauen in Afghanistan in eklatanter Weise ihre Menschenwürde aberkannt.
Die Entscheidung aus Luxemburg erging auf eine entsprechende Vorlagefrage des Verwaltungsgerichtshofs Österreich. Weil das nationale Asylrecht aber nahezu vollständig vom Unionsrecht determiniert wird, ist die Entscheidung durch das deutsche Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ebenso zu beachten.
xp/mk/LTO-Redaktion
Zwangsheiraten, Misshandlungen, Arbeitsverbote: . In: Legal Tribune Online, 04.10.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55564 (abgerufen am: 08.11.2024 )
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