Verbeamtete Lehrer dürfen nicht streiken. Dabei bleibt es vorerst nach einem Urteil des BVerwG von Donnerstag. Allerdings erkannten die Richter darin einen Widerspruch zur EMRK, den der Gesetzgeber auflösen müsse. Für Lehrer im Beamtenverhältnis könnte die Einräumung eines Streikrechts allerdings finanzielle Einbußen mit sich bringen.
In Deutschland gilt für alle Beamten unabhängig von ihrer Tätigkeit ein generelles Streikverbot, das in Art. 33 Abs. 5 Grundgesetz (GG) verfassungsrechtlich verankert ist, so das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG). Dieses Verbot sei wesentlicher Bestandteil des in sich austarierten, spezifisch beamtenrechtlichen Gefüges von Rechten und Pflichten und gelte auch für Lehrer.
Allerdings stehe das umfassende deutsche Streikverbot im Widerspruch zu der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Dieser hatte in zwei Urteilen von 2008 und 2009 in zwei türkischen Fällen Art. 11 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ein Recht der Staatsbediensteten auf Tarifverhandlungen über die Arbeitsbedingungen und ein daran anknüpfendes Streikrecht entnommen (Urt. v. 12.11.2008, Az. 34503/97 und Urt. v. 21.04.2009, Az. 68959/01). Die Mitgliedstaaten des Europarates können diese Rechte nur für Soldaten, Polizisten und andere hoheitlich tätig werdende Beamte ausschließen. Zu letzteren zählen Lehrer nach Auffassung des EGMR nicht, da sie nicht an der Ausübung genuin hoheitlicher Befugnisse beteiligt seien.
Da Deutschland völkervertrags- und verfassungsrechtlich verpflichtet sei, Art. 11 EMRK in seiner Auslegung durch den EGMR in der deutschen Rechtsordnung Geltung zu verschaffen, müsse der Gesetzgeber diese Kollision auflösen, so die Leipziger Richter. Die Einräumung eines Streikrechts für Lehrer und andere nicht-hoheitlich tätige Beamte könnte allerdings eine Änderung anderer Regelungen nach sich ziehen, die für Beamte günstig sind - etwa im Besoldungsrecht. Bis der Gesetzgeber entsprechende Regelungen vorgenommen habe, bleibe es bei dem Streikverbot (BVerwG, Urt. v. 27.02.2014, Az. 2 C 1.13).
GEW: BVerwG hat seine Spielräume nicht ausgeschöpft
Geklagt hatte eine Lehrerin aus Nordrhein-Westfalen, unterstützt von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Gegen die Frau war 2009 eine Disziplinarstrafe verhängt worden, nachdem sie an Warnstreiks teilgenommen und deshalb zwölf Unterrichtsstunden versäumt hatte. Die Leipziger Richter bestätigten die Strafe, setzten die verhängte Geldbuße allerdings von 1.500 auf 300 Euro herab. Die Frau ist heute keine Beamtin mehr und arbeitet auch nicht mehr als Lehrerin.
Nach der Urteilsverkündung sagte sie, dass das Beamtenrecht aus ihrer Sicht veraltet sei. Es sei gut, dass das Gericht auf den Widerspruch zwischen deutschem und europäischem Recht hingewiesen habe. "Das war eine Aussage mit erhobenem Zeigefinger, dass der Gesetzgeber etwas tun muss." Auch der Rechtsanwalt des beklagten Landes Nordrhein-Westfalen, Gernot Fritz, sah Handlungsbedarf beim Gesetzgeber. "Das Gericht hat einen Fortentwicklungsbedarf beim Beamtenrecht erkannt und dies deutlich aufgezeigt."
Weniger zufrieden zeigte sich die GEW. Das BVerwG habe seine Spielräume nicht ausgeschöpft. Vorstandsmitglied Andreas Gehrke kündigte an, auch dieses Verfahren vor das Bundesverfassungsgericht zu bringen - wie bereits zwei ähnliche zuvor.
Umstritten war die Frage auch zwischen den Vorinstanzen. Das Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf gab der Klage der Lehrerin noch statt unter Verweis auf die Rechtsprechung des EGMR, an die es sich gebunden fühlte (Urt. v. 15.12.2010, Az. 31 K 3904/10.O). Andere Verwaltungsgerichte hatten sich der Entscheidung des EGMR indes nicht angeschlossen. Auch das für die Berufung zuständige Oberverwaltungsgericht (OVG Münster) wies die Klage der Lehrerin ab. Die EMRK stehe in der deutschen Rechtsordnung nur im Range eines Bundesgesetzes unterhalb des Grundgesetzes und könne somit das verfassungsunmittelbare Streikverbot für Beamte nicht in Frage stellen (Urt. v. 07.03.2012, Az. 3d A 317/11.O).
dpa/cko/LTO-Redaktion
BVerwG lässt Lehrer nicht streiken: . In: Legal Tribune Online, 28.02.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11192 (abgerufen am: 10.10.2024 )
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