Fristberechnungen sind immer fehleranfällig. Eine Anwältin wollte die Berufungsbegründungsfrist vom 31. Mai auf den 28. Juni verlängern - offensichtlich ein Tippfehler, findet das BVerwG. Das OVG war anderer Meinung.
Legt ein Gericht eine Frist, vorliegend eine Berufungsbegründungsfrist, aus, muss es offensichtliche Tippfehler erkennen und unberücksichtigt lassen. Das entschied das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) auf eine Nichtzulassungsbeschwerde in einem Berufungsverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (OVG) hin (Beschl. v. 29.06.2023, Az. BVerwG 3 B 43.22 6A 10383/22).
Eigentlich ging es um Corona-Betriebsschließungen…
Eigentlich geht es in dem zugrundliegenden Verfahren um Betriebsschließungen während Corona. Vor dem Verwaltungsgericht ging es um die Frage, ob der Kunde eines Betriebs, der wegen der Coronaregelungen geschlossen wurde, auch betroffen und insofern klagebefugt ist. Das Verwaltungsgericht verneinte dies, ließ aber die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zu.
Diesen Weg wollten der Kläger und seine Anwältin auch gehen und beantragten beim Gericht eine Verlängerung der Frist zur Einreichung der Berufungsbegründung. Ein ganz normaler und alltäglicher Vorgang, bei dem der Anwältin jedoch ein Fehler unterlief. Sie beantragte am 30. Mai beim Gericht, "die am 31.05.2022 ablaufende Begründungsfrist um einen Monat bis zum 28.06.2022 zu verlängern".
Eine Verlängerung um einen Monat wäre aber eigentlich auf den 30. Juni gefallen, die Aussage "um einen Monat", die sogar ausdrücklich unterstrichen war, und die Angabe "28.06.2022" widersprachen sich also. Das OVG erklärte dessen ungeachtet, dass die Frist antragsgemäß verlängert werde – ohne die Nennung eines konkreten Datums.
…doch dann stritt man nur noch über prozessuale Fristen
Als die Berufungsbegründung dann am 29. Juni beim OVG einging, verwarf das Gericht die Berufung, da diese nicht fristgerecht begründet worden sei. Dagegen erhob der Kläger mit seiner Anwältin Nichtzulassungsbeschwerde beim BVerwG – und hatte dort, durchaus eine Seltenheit, Erfolg.
Das BVerwG befand nämlich, dass die Angabe des 28. Juni im Antrag des Klägers eindeutig und völlig offensichtlich als Tippfehler zu erkennen gewesen sei. Das OVG habe diesen Antrag auslegen und das Begehr des Klägers ermitteln müssen. Dieses sei "offenkundig" eine Verlängerung der Frist um einen Monat gewesen, dies sei sogar unterstrichen gewesen. Dass dieser Hinweis, wie das OVG es formulierte, lediglich ein "zusätzlicher Hinweis" gewesen sei, sei keine zu rechtfertigende Auslegung des Antrags.
Dass eine Monatsfrist nun nicht am 28., sondern am 30. Juni geendet hätte, und die Datumsangabe und die Angabe "ein Monat" nicht zusammenpassten, war aus Sicht des BVerwG eindeutig: "Um das zu erkennen, bedurfte es weder eines Blicks in die Akten zur Klärung, wann dem Kläger das angefochtene Urteil zugestellt worden war, noch in den Kalender zur Klärung, ob das Ende der Monatsfrist auf einen Sonn- oder Feiertag oder einen Sonnabend fiel", stellt das BVerwG klar.
Aufgrund dieser mangelhaften Auslegung des OVG sei die Verwerfung der Berufung daher unzulässig. Die Sache wurde an das OVG zurückverwiesen. "Wir sind erleichtert und freuen uns darüber, dass nun die Rechtsfrage in der Sache entschieden werden muss. Über den Beschluss des OVG waren wir ob des offensichtlichen Verfahrensfehlers erschüttert und hatten den Verdacht, dass sich der Senat so eine Sachentscheidung ersparen wollte.", kommentierte die Anwältin, Jessica Hamed diesen Verfahrensausgang.
ast/LTO-Redaktion
*Anm. d. Redaktion: Ergänzt am 17.7.2023, 17:46 Uhr.
BVerwG zu Tippfehlern bei Fristberechnung: . In: Legal Tribune Online, 17.07.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52265 (abgerufen am: 16.10.2024 )
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