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BVerwG sieht keine unmenschliche Aufnahmesituation: Über­stel­lung "nicht­vul­ne­ra­bler Flücht­linge" nach Grie­chen­land mög­lich

16.04.2025

Bewohner eines Flüchtlingslagers in Griechenland

In Griechenland reagierten Bewohner eines Flüchtlingslagers emotional auf den Besuch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Oktober 2024. Foto: picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka

Flüchtlingen, die jung, arbeitsfähig und gesund sind, droht in Griechenland keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, hat das BVerwG entschieden. Deren Asylanträge können hierzulande daher als unzulässig abgelehnt werden.

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Jedenfalls alleinstehende, erwerbsfähige und "nichtvulnerable" Flüchtlinge sind bei einer Rückkehr nach Griechenland keinen erniedrigenden oder unmenschlichen Lebensbedingungen ausgesetzt. Das hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschieden. Asylanträge von Menschen dieses Personenkreises, die über Griechenland nach Deutschland eingereist sind, können daher als unzulässig abgelehnt werden (Urt. v. 16.04.2025, Az. 1 C 18.24).

Griechenland ist als Land mit EU-Außengrenzen für viele Flüchtlinge das erste EU-Land, das sie betreten. Nach den Dublin-Regeln ist es damit für die eingereisten Menschen zuständig. Das gilt auch dann, wenn diese Menschen anschließend in andere Länder weiterziehen. Ein dort gestellter, zweiter Asylantrag kann in diesen Fällen von den Behörden nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 Asylgesetz (AsylG) als unzulässig abgelehnt werden. Das gilt nur dann nicht, wenn in dem zuerst betretenen Land die Lage so schlecht ist, dass die Schutzsuchenden nicht mehr im Sinne der EU-Grundrechtecharta (GRCh) versorgt werden können. 

So ist auch Deutschland in den zwei Fällen, die nun vom BVerwG entschieden wurden, vorgegangen. Den beiden Männern – einem staatenlosen 34-Jährigen aus dem Gazastreifen und einem 32-jährigen Somalier – wurde in Griechenland internationaler Schutz zuerkannt. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lehnte daher die in Deutschland gestellten Asylanträge ab und drohte mit der Überstellung nach Griechenland. Hiergegen klagten die Männer, allerdings ohne Erfolg. Die Instanzgerichte, zuletzt der hessische Verwaltungsgerichthof (VGH), waren nicht der Auffassung, dass den Flüchtlingen bei einer Rückkehr nach Griechenland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung drohe. Zwar weise das griechische Aufnahmesystem für anerkannte Schutzberechtigte weiterhin erhebliche Defizite auf. Diese führten aber nicht allgemein zu sogenannten systemischen Mängeln.

Erwerbstätigkeit notfalls in der Schattenwirtschaft möglich

Andere Gerichte hatten die Lage in Griechenland kritischer eingeschätzt. So hatten das saarländische und das nordrhein-westfälische OVG entschieden, dass Überstellungen aufgrund der prekären Lage für Flüchtlinge in Griechenland unzulässig seien. Seit Jahren wurde deswegen aus Deutschland nicht in großem Umfang nach Griechenland abgeschoben. Flüchtlingsorganisationen wie Pro Asyl kritisieren bis heute, dass Migranten in Griechenland vor einer elenden Situation stünden. Bürokratische Prozesse versperrten den Zugang zu Grundrechten.

Aufgrund dieser gegenläufigen Entscheidungen war es nun am BVerwG, als Tatsachenrevisionsinstanz nach § 78 Abs. 8 AsylG durch eine eigene Bewertung der überstellungsrelevanten Tatsachen eine bundesweite rechtliche Klärung herbeizuführen.

In seiner Entscheidung beurteilt das BVerwG die allgemeine Lagebeurteilung durch den hessischen VGH als "im Wesentlichen zutreffend". Es sei nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass arbeitsfähige, gesunde und alleinstehende junge Männer in Griechenland in extreme materielle Notlage geraten würden, in der sie ihre elementarsten Grundbedürfnisse – namentlich Unterkunft, Ernährung und Hygiene – nicht befriedigen könnten. Der Maßstab sei, ob den Migranten in Griechenland "Brot, Bett und Seife" zur Verfügung stünden, sagte der Vorsitzende Richter Robert Keller am Mittwoch. "Das ist nicht viel, das wissen wir auch. Das ist ein harter Maßstab."

Das BVerwG gesteht zwar ein, dass viele Schutzberechtige unmittelbar nach ihrer Ankunft keinen Zugang zu staatlichen Unterstützungsleistungen haben. Grund dafür seien bürokratische Hürden und Wartezeiten bis zum Erhalt der erforderlichen Dokumente. "Sie können aber voraussichtlich zumindest in temporären Unterkünften oder Notschlafstellen mit grundlegenden sanitären Einrichtungen unterkommen", heißt es in der Mitteilung des Gerichts. Im Übrigen könnten sie ihre Grundbedürfnisse durch eigenes Erwerbseinkommen, "anfänglich jedenfalls in der sogenannten Schattenwirtschaft", decken. Auch sei eine medizinische Notfall- und Erstversorgung gewährleistet.

Pro Asyl: Menschen landen in der Verelendung

Pro Asyl nannte die Entscheidung des Gerichts nicht nachvollziehbar. "Wir kommen zu einer anderen Bewertung der Lage", sagte Referent Andreas Meyerhöfer. "Wir wissen, dass die Leute zwangsläufig in der Verelendung landen." Wenn jetzt wieder mehr Menschen nach Griechenland abgeschoben würden, werde das die Lage noch verschärfen

Die Entscheidung kommt, nachdem Deutschland im vergangenen Oktober vom Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zur Zahlung von 8.000 Euro Schadensersatz verurteilt wurde, weil ein syrischer Flüchtling 2018 nach Griechenland abgeschoben worden war, wo er sodann für zwei Monate in Haft saß.

Von der Möglichkeit, als Tatsachenrevisionsinstanz eine asylrechtliche Lage zu klären, hat das BVerwG zum ersten Mal in Bezug auf Italien Gebrauch gemacht. Auch in diesem Fall hat es entschieden, dass Überstellungen nach Italien zulässig seien, und eine unmenschliche oder erniedrigende Aufnahmesituation nicht bestehe.

lmb/LTO-Redaktion
mit Material der dpa

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BVerwG sieht keine unmenschliche Aufnahmesituation: . In: Legal Tribune Online, 16.04.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/57022 (abgerufen am: 12.06.2025 )

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