Atomausstieg vor dem BVerfG: Zit­tern und Klagen

11.03.2016

2/2: Ungleichbehandlungen beim Atomausstieg

Die einstigen Branchenriesen Eon und RWE vermeldeten jüngst wieder Milliardenverluste. Der Strom aus ihren Kraftwerken ist an der Börse immer weniger wert, beim Ökostrom sind sie spät dran. Eon und RWE spalten sich auf, packen ihr altes Geschäft mit Kohle und Atom in eigene Gesellschaften, in der Hoffnung, als grüner Stromanbieter und Dienstleister zu überleben.

Für die Richter in Karlsruhe sind die Bilanzen, Börsenkurse und Rückstellungen der Konzerne uninteressant. Der Erste Senat unter Leitung von Gerichts-Vizepräsident Prof. Dr. Ferdinand Kirchhof wird prüfen, ob das von Bundestag und Bundesrat vor fünf Jahren gebilligte Gesetzeswerk der damaligen schwarz-gelben Regierung von Union und FDP für den Atomausstieg (Dreizehntes Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes) rechtmäßig war.

Die von Top-Kanzleien wie Gleiss Lutz und Freshfields Bruckhaus Deringer unterstützten Konzerne zweifeln das an. Es gab Merkwürdigkeiten, das ist kein Geheimnis. So kann bis heute niemand so richtig erklären, warum beim Ausstiegsfahrplan die einst fast zeitgleich ans Netz gegangenen Blöcke Gundremmingen B und C in Bayern ungleich behandelt werden: B wird 2017 abgeschaltet, C aber erst 2021. So entschied z.B. das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) 2014, dass die rasche Abschaltung vieler Atomkraftwerke nach Fukushima im Frühjahr 2011 rechtswidrig war.

Fragen bleiben - selbst wenn der Prozess sich auflöst

Eine besondere Rolle vor Gericht spielt Vattenfall. Der schwedische Staatskonzern, der im Norden die Meiler Krümmel und Brunsbüttel betrieb, fühlt sich mehrfach schlecht behandelt. Warum wurde Krümmel (Vattenfall/Eon je 50 Prozent) in Schleswig-Holstein in die Gruppe der sieben ältesten AKW einsortiert, die per Moratorium sofort vom Netz gingen? Dabei zählte Krümmel doch zu den modernen Anlagen. Vattenfall vermutet politische Gründe, weil Krümmel nach einigen Vorfällen öffentlich als "Pannenmeiler" galt.

Deutschen Politikern halten die Schweden den Spiegel vor: Als das schwedische Atomkraftwerk Barsebäck in Sichtweite von Kopenhagen endgültig vom Netz ging, zahlte der schwedische Staat den Betreibern Eon und Vattenfall mehr als eine halbe Milliarde Euro Entschädigung. Umstritten ist, ob Vattenfall als ausländischer Staatskonzern sich in Karlsruhe überhaupt auf das Grundgesetz berufen kann.

Bis zu einem Urteil dürften Monate vergehen. Oder der Prozess löst sich in Luft auf, weil die Konzerne sich zurückziehen und sich mit dem Staat bei den Atom-Altlasten verständigen. Fragezeichen bleiben. Vattenfall will unverändert vor einem Schiedsgericht in Washington 4,7 Milliarden Euro Schadensersatz von Deutschland einklagen. Auch eine rot-grüne Regierung in Stockholm wird erst einlenken, wenn sich ein Deal beim Atomausstieg auch in Kronen rechnet.

dpa/acr/LTO-Redaktion

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Atomausstieg vor dem BVerfG: Zittern und Klagen . In: Legal Tribune Online, 11.03.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18755/ (abgerufen am: 23.04.2024 )

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