Der Staat macht die Atomkraftwerke dicht, ohne den Betreibern eine Entschädigung zu zahlen. Am Dienstag beginnt die Verhandlung von Eon, RWE und Vattenfall vor dem BVerfG - oder ist alles nur Teil eines großen Deals?
Es ist ein bisschen absurd. Da sitzen in diesen Tagen die Chefs der Atomkonzerne in vertraulichen Runden mit Politikern und Experten der von der Regierung berufenen Atom-Kommission zusammen, um einen "Jahrhundertplan" zu schmieden. Er soll die gewaltigen Kosten und Risiken beim Abriss der Kernkraftwerke sowie die Zwischen- und Endlagerung des Atommülls in Deutschland bis zum Jahr 2099 möglichst fair zwischen Staat und Betreibern aufteilen.
Parallel sieht man sich nun aber in der kommenden Woche vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe wieder. Dort werden am Dienstag und Mittwoch (15./16. März) in mündlicher Verhandlung die Verfassungsbeschwerden von Eon, RWE und Vattenfall gegen das Atomausstiegsgesetz von 2011 beraten (Az. 1 BvR 2821/11, 321/12, 1456/12).
Eon-Chef Johannes Teyssen scheute bei der Bilanz-Pressekonferenz vor großen Worten nicht zurück: "Ich erwarte Gerechtigkeit." Die Konzerne werfen dem Staat vor, sie mit dem nach der Reaktor-Katastrophe im japanischen Fukushima vor fünf Jahren politisch durchgepeitschten Abschalten der Atommeiler enteignet zu haben. Und zwar ohne Entschädigung. Sollten die Karlsruher Richter zu dem Schluss kommen, dass die Unternehmen damals in ihren Grundrechten verletzt wurden, könnten diese in der Folge Milliarden-Schadensersatz erstreiten. Unter Verfassungsrechtlern ist die Frage umstritten. So ist z.B. der Klimaschutzexperte Prof. Felix Ekhard der Meinung, die Eigentumsgarantie sei durch den Atomausstieg nicht verletzt, ebenso wenig wie die Berufsfreiheit der AKW-Betreiber.
Klagen nur ein Druckmittel?
Das ganze Verfahren in Karlsruhe könnte aber bald hinfällig sein. Dann nämlich, wenn sich die Konzernbosse mit dem Staat einigen, was mit ihren Milliarden-Rückstellungen und den Altlasten beim Atomausstieg passiert. Als Gegenleistung dafür, dass der Staat den angeschlagenen Konzernen das Risiko bei der Endlagerung des Atommülls abnehmen könnte, sollen die Unternehmen nämlich alle Klagen - bundesweit um die zwei Dutzend - zurückziehen.
Die Atom-Kommission, die von den früheren Spitzenpolitikern Jürgen Trittin (Grüne), Ole von Beust (CDU) und Matthias Platzeck (SPD) geleitet wird, wollte bereits Ende Februar einen "Deal" verkünden. Ziel war es, vor den - inzwischen über die Bühne gegangenen - Bilanzpressekonferenzen von Eon und RWE und dem Prozess in Karlsruhe in der Finanzwelt für Klarheit über das Kostenrisiko bei der Abwicklung der Kernenergie zu sorgen.
Beide Konzerne werden von Analysten, die Kaufempfehlungen für Aktien abgeben, und Rating-Agenturen, die über die Kreditwürdigkeit entscheiden, mit Argusaugen beobachtet. Überraschend vertagte man sich Ende Februar, nun sind zwei weitere Treffen der Atom-Kommission mit den Konzernen angesetzt. "Die Klagen sollen jetzt wohl ein Druckmittel sein, um Zugeständnisse bei der Finanzierung der Atom-Altlasten zu erreichen", glaubt der Fraktionsvize der Grünen im Bundestag, Oliver Krischer. Viele Jahre waren die Atommeiler für die Konzerne wahre Gelddruckmaschinen - nun fürchten Opposition und Umweltschützer, dass sich die Not leidenden Betreiber bei den Kosten vom Acker machen wollen.
Atomausstieg vor dem BVerfG: . In: Legal Tribune Online, 11.03.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18755 (abgerufen am: 11.11.2024 )
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