BVerfG-Verhandlung zum Wahlrecht: Gerichtspräsident kritisiert die Parteien

05.06.2012

Koalition und Opposition streiten aktuell vor dem BVerfG um das neue Wahlrecht. Dabei geht es vorrangig um die Regelung zu den Überhangmandaten. Gerichtspräsident Voßkuhle rügt unterdessen die Parteien, weil sie sich in drei Jahren nicht einigen konnten.

Vertreter der Opposition haben vor dem Bundesverfassungsgericht das neue Wahlrecht scharf kritisiert. Es handele sich um eine "Methode der Mehrheitssicherung um jeden Preis", sagte Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck.

Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle betonte, ein verfassungsgemäßes Wahlrecht sei das unverzichtbare Fundament einer funktionierenden Demokratie. Er kritisierte das Verhalten der Politik: "Zum großen Bedauern des Gerichts ist es den Parteien nicht gelungen, innerhalb der drei Jahre einen gemeinsamen Vorschlag für eine Änderung des Bundeswahlgesetzes auf den Weg zu bringen."

Möglicher Verstoß gegen Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit der Parteien

Die Karlsruher Richter hatten 2008 das bisherige Wahlrecht zum Bundestag für teilweise verfassungswidrig erklärt und dem Gesetzgeber eine Frist von drei Jahren zur Neuregelung gesetzt. Erst fünf Jahre nach Fristablauf setzten die Koalitionsparteien im vergangenen Jahr das neue Wahlrecht durch - gegen die Stimmen der Opposition.

SPD und Grüne haben in der Folge gegen die Neuregelung Klage eingereicht, außerdem liegt eine Verfassungsbeschwerde von mehr als 3.000 Bürgern vor.

Die Kläger sind der Meinung, dass das Wahlgesetz gegen die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und der Chancengleichheit der Parteien verstößt. Im Fokus standen vor allem die so genannten Überhangmandate. Sie können entstehen, wenn eine Partei mehr Direktmandate in den Wahlkreisen gewinnt, als ihrem Anteil an Zweitstimmen entspricht.

Diese Mandate "verschaffen der Union einen politischen Standortvorteil, für den andere Parteien 1,6 Millionen Wählerstimmen erringen müssen", sagte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann. Einzelne Wähler bekämen aufgrund der Überhangmandate ein doppeltes Stimmgewicht. Die Mandate seien "ein giftiger Stachel im Fleisch der Wahlrechtsgerechtigkeit".

"Die Gefahr steigt, dass sich im Parlament eine Mehrheit bildet, die nicht von einer Mehrheit der Wähler getragen wird", sagte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck. Die Koalition habe kein Interesse an einer fairen Lösung gehabt. Vielmehr sollten die  Überhangmandate "um jeden Preis gesichert werden".

Voßkuhle: Zeit bis zur nächsten Bundestagwahl ist knapp

Der CDU-Abgeordnete Günter Krings verteidigte die Neuregelung: Es sei der Auftrag des Bundesverfassungsgerichts gewesen, den Effekt des so genannten negativen Stimmgewichts zu beseitigen - demnach konnte es unter bestimmten Umständen passieren, dass eine Partei im Ergebnis weniger Sitze im Bundestag bekam, wenn die Zahl ihrer Zweitstimmen stieg. Dieser Auftrag sei umgesetzt worden.

"Es ist ein minimalinvasiver Eingriff, der im Wahlrecht eben nur das Notwendige ändert", sagte Krings. Überdies sei die Koalition "nicht Profiteur" der Neuregelung. Sie hätte nach der neuen Regelung bei den vergangenen Wahlen zwei Mandate weniger erhalten, so Krings.

Gerichtspräsident Voßkuhle wies auf die knappe Zeit bis zur nächsten Bundestagswahl hin. Spätester Wahltermin sei der 27. Oktober 2013. "Angesichts des langen Vorlaufs bei der Vorbereitung der Wahl wird also die Zeit zunehmend knapp", sagte Voßkuhle. Es wäre Aufgabe der Politik gewesen, "rechtzeitig und möglichst einvernehmlich ein neues Wahlgesetz vorzulegen. Diese Umstände würden den Senat aber nicht daran hindern, "die angegriffenen Regelungen sorgfältig auf ihre Verfassungsgemäßheit hin zu überprüfen".

In Berlin wird mit einer Entscheidung des Gerichts noch vor der parlamentarischen Sommerpause gerechnet.

dpa/mbr/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

BVerfG-Verhandlung zum Wahlrecht: Gerichtspräsident kritisiert die Parteien . In: Legal Tribune Online, 05.06.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6331/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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