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Weitere Eilanträge und Streit um knappe Mehrheiten: Grund­ge­setz­än­de­rungen in Bun­destag und Bun­desrat doch auf der Kippe?

17.03.2025

Voll besetzter Plenarsaal des Deutschen Bundestages (Symbolbild)

Im Deutschen Bundestag wird kurz vor dem Regierungswechsel lebhaft debattiert. Foto: picture alliance/dpa | Michael Kappeler

Auch nach der Entscheidung vom Freitag sind beim BVerfG weitere Klagen gegen die Sondersitzungen anhängig. Wie und wann Karlsruhe entscheiden wird, ist noch offen. Auch die nötigen Zweidrittelmehrheiten sind noch nicht ausgemacht.

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Am Dienstag soll der Bundestag das geplante milliardenschwere Finanzpaket beschließen, das Union, SPD und Grüne ausgehandelt haben. Am Freitag folgt der Bundesrat. Nötig sind jeweils Zweidrittelmehrheiten. Obwohl das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am Freitag mehrere Anträge und Eilanträge gegen die Einberufung des "alten", also des 20. Deutschen Bundestages verworfen hat, versuchen einige Abgeordnete weiter, die Abstimmung über die Verfassungsänderungen zu stoppen.

Nach Angaben des Gerichts waren am Freitag drei weitere Organstreitverfahren und vier Verfassungsbeschwerden noch anhängig. Darunter ist eine der Linken, die ebenfalls das zeitlich enge Gesetzgebungsverfahren zur Änderung des Grundgesetzes moniert.

Zudem wurde über das Wochenende bekannt, dass weitere Abgeordnete neue Anträge in Karlsruhe eingereicht haben, um den für Dienstag geplanten Beschluss des Bundestags noch zu verhindern. Darunter ist auch die parteilose Abgeordnete Joana Cotar (ehemals AfD), die am Freitag bereits mit einem Eilantrag gescheitert war. Nun versucht sie es nach eigenen Angaben zum zweiten Mal – mit einem Antrag, die Abstimmung zu verschieben. Das BVerfG bestätigte den Eingang. Mit demselben Ziel wollen drei FDP-Abgeordnete einen Eilantrag in Karlsruhe stellen. Sie beanstanden wie Cotar den Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens und argumentieren, die Beratungszeit für das Schuldenpaket reiche nicht aus.

BVerfG: Alter Bundestag noch handlungsfähig

Der Zweite BVerfG-Senat hatte am Freitag mehrere Anträge verworfen. Einige zielten darauf, die Sondersitzung des alten Bundestags am Dienstag abzusagen. Daneben ging es darum, den geplanten Beschluss des Finanzpakets zu verhindern. Keiner der Anträge hatte Erfolg. Auch Eilanträge gegen die Gestaltung des Gesetzgebungsverfahrens blieben erfolglos.

Das BVerfG wies in seiner Entscheidung, ebenso wie viele Expert:innen im Vorfeld, auf Art. 39 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) hin. Der besagt, die Wahlperiode des "alten" Bundestags "endet mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestags". Daraus resümierte der Zweite Senat: "Dem 20. Deutschen Bundestag fehlt es nicht an verfassungsrechtlicher Legitimation." Der alte Bundestag sei in seinen Handlungsmöglichkeiten nicht beschränkt. Insofern entschied das Gericht in der Sache und wies die entsprechenden Organklagen auch in der Hauptsache ab.  

Auch Cotars Eilantrag, der die angesichts der Wichtigkeit und Komplexität der geplanten Reformen zu kurzen Beratungs- und Befassungszeiten bemängelt, hatte der Zweite Senat verworfen. Hier entschied er nur vorläufig, im Rahmen einer Folgenabschätzung im Eilverfahren. Angesichts der drohenden Gefahr, dass die Grundgesetzänderungen nach der Neukonstituierung des 21. Bundestags wegen entsprechender Mehrheitsverhältnisse endgültig nicht mehr beschlossen werden können, müsse die Gefahr einer drohenden Verletzung von Abgeordnetenrechten hier zurückstehen.

Zweiter Anlauf

Dies wollen die neuerlichen Antragsteller offenbar nicht so stehen lassen. Sie wenden sich erneut gegen die zu knapp bemessene Zeit, gehen dabei aber auch auf die nun bekannte inhaltliche Einigung von Union, SPD und Grünen ein, deren Inhalte LTO am Freitag vorgestellt hatte. Verfassungswidrig sei vor allem, dass nur drei Tage vor der endgültigen Abstimmung weitere gravierende Änderungen vorgelegt worden seien, etwa eine Regelung zur Klimaneutralität bis 2045. "Das lässt sich in der kurzen Zeitspanne nicht seriös diskutieren und abwägen", meinte FDP-Finanzexperte Florian Toncar. Die Beratung im Parlament drohe so zur reinen Formsache zu werden. Mit einer ähnlichen Argumentation war der CDU-Abgeordnete Thomas Heilmann im April 2024 in Karlsruhe erfolgreich; die geplante Abstimmung über das sogenannte Heizungsgesetz musste daraufhin hinter die parlamentarische Sommerpause verschoben werden.

Union, SPD und Grüne wollen, dass das Grundgesetz an mehreren Stellen geändert wird: Ausgaben für Verteidigung, Zivilschutz, Nachrichtendienste und Cybersicherheit sollen nur noch bis zu einer Grenze von einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts – also gemessen am BIP 2024 etwa 43 Milliarden Euro – unter die Schuldenbremse fallen. Alles darüber hinaus kann aus Krediten bezahlt werden. Die Länder sollen mehr Spielraum für eigene Verschuldung bekommen. Zudem soll im Grundgesetz ein Sondervermögen für Investitionen in Infrastruktur und Klimaneutralität verankert werden, das von der Schuldenbremse ausgenommen und mit 500 Milliarden Euro aus Krediten gefüttert werden soll.

Neukonstituierung im Eilverfahren nur mit Mehrheit

Ob der Zweite Senat den neuerlichen Anträgen stattgeben wird, ist angesichts der Entscheidungen vom Freitag fraglich. Noch offen ist, wann das Gericht seine Entscheidung bekannt gibt.

AfD und BSW fordern derweil die Linksfraktion im 21. Bundestag auf, zusammen mit der AfD-Fraktion eine Einberufung des neuen Bundestags zu fordern. Sie stützen sich dabei auf Art. 39 Abs. 3 GG, wonach der Bundestag auf Verlangen eines Drittels seiner Mitglieder einberufen werden muss. Zusammen erreichen AfD und Linke im neuen Bundestag dieses Quorum. Allerdings greift, wie LTO am Samstag berichtete, Art. 39 Abs. 3 GG vor der Neukonstituierung des Bundestags noch nicht ein. Entgegen Angaben der AfD und des BSW kann deshalb nicht ein Drittel der Abgeordneten die Einberufung erwirken; vielmehr braucht er dafür eine (einfache) Mehrheit. Diese Auffassung teilt auch die Linke, weshalb sie die Forderungen von AfD und BSW am Wochenende zurückwies.

Einigung in Bayern: Zustimmung des Bundesrates wohl sicher

Politisch könnten die Reformpläne ebenfalls noch scheitern. Union, SPD und Grüne verfügen im 20. Bundestag zwar über eine Mehrheit von gut 70 Prozent der Mitglieder. Jedoch gibt es womöglich vereinzelte Abweichler in ihren Reihen. So will etwa der ehemalige CDU-Generalsekretär Mario Czaja will dem Finanzpaket nicht zustimmen. "Ich habe meiner Fraktion gegenüber zum Ausdruck gebracht, dass ich dieser Grundgesetzänderung nicht zustimmen kann", sagte der scheidende Berliner Bundestagsabgeordnete dem Nachrichtenportal The Pioneer. Diese sei "nicht generationengerecht, und die Begründungen, die dafür herangezogen werden, sind nicht redlich."

Offen war lange auch der Ausgang der Abstimmung im Bundesrat. Hier sind für die Zweidrittelmehrheit 46 der 69 Stimmen notwendig, um die Grundgesetzänderungen zu beschließen. Landesregierungen, an denen nur CDU, SPD und Grüne beteiligt sind, kommen auf 41 Stimmen. Mit den sechs Stimmen aus Bayern wäre die Zustimmung sicher. Zwar zeigten sich die im Freistaat mit der CSU regierenden Freien Wähler zunächst skeptisch. Jedoch gab es am Montagabend einen Durchbruch: Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) bestätigte bei einem gemeinsamen Statement mit Freie-Wähler-Fraktionschef Florian Streibl in der Staatskanzlei in München, man habe sich in einer Sitzung des Koalitionsausschusses auf eine Zustimmung zum Finanzpaket verständigt.

Am Montagnachmittag trifft sich dem Vernehmen nach der Koalitionsausschuss von CSU und Freien Wählern, um über das Abstimmungsverhalten Bayerns im Bundesrat zu beraten. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte aber bereits am Sonntagabend in der ZDF-Sendung "Berlin direkt": "Gehen Sie mal davon aus, dass Bayern am Ende zustimmen wird." Die Frage, ob er bereit wäre, für das Finanzpaket seine Regierungskoalition mit den Freien Wählern in München zu opfern, beantwortete Söder nicht.

dpa/lmb/LTO-Redaktion

Hinweis: Die Einigung der bayerischen Landesregierung wurde nachträglich hinzugefügt. Die Zwischenüberschrift wurde entsprechend geändert (17.03.2025, 19:10 Uhr, mk).  

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Weitere Eilanträge und Streit um knappe Mehrheiten: . In: Legal Tribune Online, 17.03.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56806 (abgerufen am: 21.05.2025 )

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