Nach dem EZB-Urteil des BVerfG: Scholz beschwich­tigt, EZB plant, Kom­mis­sion mahnt

05.05.2020

Nach dem aufsehenerregenden Karlsruher Urteil zu den Anleihenkäufen der EZB betont Finanzminister Olaf Scholz den Zusammenhalt in der Währungsunion. Die EZB hat eine Sondersitzung anberaumt. Der EuGH hüllt sich in Schweigen.

Nachdem das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Staatsanleihenkäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) als kompetenzwidrig beanstandet hat, will die Bundesregierung  sich nun bei der EZB für eine gründliche Prüfung der Staatsanleihenkäufe einsetzen. "Darauf werden wir natürlich hinwirken, das ist klar", sagte Finanzstaatssekretär Jörg Kukies am Dienstag in Karlsruhe. "Wir gehen auch davon aus, dass die EZB das tun wird."

Der Rat der EZB kündigte an, die Entscheidung am Dienstagabend in einer Sondersitzung bewerten zu wollen. Die Notenbanker werden sich um 18 Uhr zu einer Telefonkonferenz zusammenschalten, wie ein EZB-Sprecher auf Anfrage mitteilte. Danach werde es gegebenenfalls eine Stellungnahme geben. 

Nach Ansicht von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) stellt die Entscheidung den Zusammenhalt in der europäischen Währungsunion nicht in Frage. "Gerade in diesen Tagen, in denen uns die Corona-Krise viel abverlangt, geben uns die gemeinsame Währung und die gemeinsame Geldpolitik den notwendigen Zusammenhalt in Europa", betonte Scholz am Dienstag in Berlin. Das Urteil habe auch keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Bundesbank, sagte Scholz. "Die Bundesbank darf sich vorerst weiterhin an dem gemeinsamen Kaufprogramm beteiligen." Die Bundesregierung hat drei Monate Zeit, die EZB zu einer Überprüfung des beanstandeten Kaufprogramms zu bewegen. Auch die aktuellen Hilfsentscheidungen im Zusammenhang mit der Corona-Krise seien nicht gefährdet, sagte Scholz.

Kommission erinnert an Vorrang des EU-Rechts

Auch Ökonomen rechnen nach dem Urteil nicht mit einem Ende der milliardenschweren Staatsanleihenkäufe. Das Gericht halte den Druck auf die europäische Geldpolitik aufrecht, ohne aber "das schärfste Schwert der unmittelbaren Untersagung einer Teilnahme der Bundesbank zu schwingen", sagte Dekabank-Chefvolkswirt Ulrich Kater in Frankfurt. Nach Einschätzung von Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer werden Europas Währungshüter ihr Anleihenkaufprogramm fortsetzen. "Das ist zwar ein Affront gegen die EZB. Aber mit ihrer Armada an Ökonomen und Juristen kann die EZB eine solche Prüfung problemlos bewältigen", argumentierte Krämer.

Die Europäische Kommission erinnerte in einer ersten Stellungnahme an den Vorrang des EU-Rechts. Die Urteile des EuGH seien für alle Mitgliedstaaten bindend, betonte Kommissionssprecher Eric Mamer am Dienstag in Brüssel. Mamer sagte weiter, die Kommission achte die Unabhängigkeit der EZB bei der Umsetzung der Geldpolitik. Das am Dienstag ergangene deutsche Urteil müsse nun genau analysiert werden. Der EuGH selbst erklärte auf Anfrage nur, man kommentiere Urteile nationaler Gerichte nicht.

Kläger: "Auf rechtlich nachvollziehbare Weise Widerstand geleistet"

Für den früheren CSU-Politiker Peter Gauweiler, der mit anderen geklagt hatte, zeigt das Urteil, dass Widerstand Sinn habe. Die Bundesregierung und der Bundestag hätten über Jahre die demokratischen Mitwirkungsrechte der Bürger in Deutschland in verfassungswidriger Weise verletzt. "Die Europäische Zentralbank kann ab sofort nicht mehr auf die Mitwirkung der Bundesbank an ihren Programmen in der bisherigen Weise zählen." Außerdem müsse der Europäische Gerichtshof zur Kenntnis nehmen, "dass ihm heute von einem der anerkanntesten Verfassungsgerichte der Welt offene Willkür vorgehalten worden ist". Für die Bürger bedeute das Urteil, dass sie in der Vergangenheit in rechtloser Weise in ihrem Sparbesitz beeinträchtigt worden seien. Jeder einzelne habe die Möglichkeit, auf rechtlich nachvollziehbare Weise Widerstand zu leisten, so Gauweiler.

Auch der frühere AfD-Politiker Bernd Lucke lobte die Entscheidung. "Ich bin sehr erfreut darüber, dass das Bundesverfassungsgericht uns im Wesentlichen Recht gegeben hat in unseren Klagen", sagte Lucke, ebenfalls einer der Kläger, nach dem Urteil am Dienstag. "Dass es festgestellt hat, dass die Europäische Zentralbank ihre Kompetenzen überschritten hat, dass auch der Europäische Gerichtshof seine Kompetenzen überschritten hat, als er das EZB-Verhalten einfach durchwinken wollte." Das BVerfG habe auch festgestellt, dass bei einem solchen Programm zwingend die Konsequenzen auf die allgemeine wirtschaftliche Lage beachtet werden müssen, sagte Lucke. "Das ist ein gutes Zeichen, dass die Rechtsordnung und die gerichtliche Kontrolle in Deutschland und Europa noch funktionieren."

dpa/acr/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Nach dem EZB-Urteil des BVerfG: . In: Legal Tribune Online, 05.05.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41513 (abgerufen am: 09.10.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen