Hausdurchsuchungen sind grundsätzlich wegen aller möglichen Straftaten zulässig. Bei Anwaltskanzleien stellt das BVerfG aber höhere Anforderungen auf. Die wurden in einem Hamburger Fall nicht eingehalten – doch der Anwalt unterlag trotzdem.
Bei einem Hamburger Rechtsanwalt wurden 2023 Kanzleiräume durchsucht und sein Computer beschlagnahmt. Hiergegen erhob er Verfassungsbeschwerde, auch der Deutsche Anwaltverein (DAV) meldete sich zu Wort. Die Verfassungsbeschwerde scheiterte nun, das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nahm sie mit einem am Mittwoch veröffentlichten Beschluss vom 21. Juli (Az. 1 BvR 398/24) wegen Unzulässigkeit nicht zur Entscheidung an. Die 2. Kammer des Ersten Senats ging dennoch ausführlich auf die Durchsuchung ein und stellte eine Grundrechtsverletzung fest. Die strengen Maßstäbe, die das Gericht in der Vergangenheit für die Durchsuchung von Kanzleiräumen aufgestellt hat, seien nicht eingehalten worden.
Damit verlor der Hamburger Anwalt, obwohl er recht bekam. Hintergrund des Falls ist ein Streit zwischen ihm und einer ehemaligen Mandantin über ein anwaltliches Honorar für die Prozessvertretung in einem in München geführten Prozess. Die Mandantin verweigerte die Zahlung, weil das Honorar nicht ihr, sondern einer den Prozess unterstützenden GmbH habe in Rechnung gestellt werden müssen. Zudem erstattete sie Strafanzeige wegen Parteiverrats und Prozessbetrugs.
Die Staatsanwaltschaft Hamburg nahm Ermittlungen auf, stellte sie aber zunächst wieder ein. Auf eine Beschwerde der Mandantin und Vorlage einer E-Mail aus der Kanzlei nahm sie die Ermittlungen hinsichtlich des Prozessbetrugs wieder auf.
BVerfG betont Schutz unbeteiligter Mandanten
Auf Antrag der Staatsanwaltschaft erließ das Amtsgericht Hamburg im Sommer 2023 einen Durchsuchungsbeschluss für die Räume der Rechtsanwaltskanzlei, gegen den sich der Anwalt mit der Verfassungsbeschwerde gewendet hat. Bei der Durchsuchung der Büros wurde ein Computer beschlagnahmt. Die Beschwerde des Anwalts gegen den Durchsuchungsbeschluss verwarf das Landgericht Hamburg Anfang 2024 als unbegründet (Beschl. v. 04.01.2024, Az. 628 Qs 25/23). Das BVerfG sah es nun anders, nahm die Beschwerde aber nicht zur Entscheidung an. Die Verfassungsbeschwerde sei unzulässig, weil der Anwalt nicht substantiiert vorgetragen habe, zuvor eine Gehörsrüge erhoben und damit den Rechtsweg erschöpft zu haben. Dies ist nach § 90 Abs. 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz aber Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Verfassungsbeschwerde.
Das BVerfG befasste sich nicht zum ersten Mal mit Durchsuchungen von Kanzleiräumen bzw. Anwälten. Zuletzt hatte das Karlsruher Gericht über eine Verfassungsbeschwerde der Kanzlei Jones Day zu entscheiden, deren Räumlichkeiten am Münchener Standort waren im Rahmen des VW-Dieselskandals durchsucht worden. Auch diese Beschwerde nahm das BVerfG nicht zur Entscheidung an, auch aus Unzulässigkeitsgründen. Anders als nun der Erste Senat bezog der Zweite Senat damals keine Stellung zu den Verhältnismäßigkeitsanforderungen bei Durchsuchungen von Kanzleiräumen (Beschl. v. 27.06.2018, Az. 2 BvR 1562/17).
Das BVerfG leitet die strengen Anforderungen der Verhältnismäßigkeit aus drei Aspekten ab. Erstens greift die Durchsuchung beruflich genutzter Räume maßgeblich in die Unverletzlichkeit der Wohnung des Anwalts aus Art. 13 Abs. 1, 2 Grundgesetz (GG) ein. Zweitens wird durch die Sichtung und Beschlagnahme von Akten und Daten des Rechtsanwalts das Recht der Mandanten auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG der Mandanten beeinträchtigt. Den Ermittlungsbehörden werden dadurch schließlich Informationen bekannt, die sowohl von beteiligten als auch von unbeteiligten Mandanten stammen, die ihre Daten in der Sphäre des Berufsgeheimnisträgers jedoch gerade sicher wähnen durften. Drittens beschädigen diese Eingriffe die Vertrauensbeziehung zwischen Anwalt und Mandanten massiv. Dieser Schutz steht im Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven und geschützten Rechtspflege.
Straftat von erheblicher Bedeutung muss vorliegen
Das BVerfG leitet daraus eine Pflicht der Ermittlungsbehörden zur "besonders sorgfältigen Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit" ab. Konkret bedeutet das für die Staatsanwaltschaft: Die Beweismittel müssen besonders belastbar sein und die Wahrscheinlichkeit, bei der Durchsuchung ergiebige Beweismittel zu finden, darf nicht bloß vage sein. Außerdem muss die Durchsuchung der Aufklärung einer Straftat von erheblicher Bedeutung dienen. Dazu macht das Gericht auch eine konkrete Vorgabe: "Straftaten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe unter fünf Jahren bedroht sind, können nicht mehr ohne Weiteres dem Bereich der Straftaten von erheblicher Bedeutung zugerechnet werden", so etwa ein Beschluss aus dem Jahr 2015 (Az. 2 BvR 497/12).
Trotz Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde ging die 2. Kammer des Ersten BVerfG-Senats dezidiert auf diese Voraussetzungen ein. Das Ergebnis: Die Durchsuchung wird den strengen Anforderungen der Verhältnismäßigkeit von Durchsuchungen bei Rechtsanwälten nicht gerecht. Bereits die in Frage stehende Straftat des Prozessbetrugs ist keine Straftat von erheblicher Bedeutung. Zudem sei die Auffindewahrscheinlichkeit zu gering gewesen. Der Anwalt habe damit gerechnet, dass eine Durchsuchung ansteht, sodass der Durchsuchungserfolg von Anfang an ungewiss gewesen sei.
DAV: Durchsuchung von Kanzleien kein Einzelfall
Und auch in diesem Fall betonten die Richter wieder den Schutz unbeteiligter Mandanten: Die Durchsuchung sei deswegen besonders eingriffsintensiv gewesen, weil "die strafprozessuale Maßnahme […] eine Streubreite aufweist und daher zahlreiche Personen in den Wirkungsbereich der Maßnahme mit einbezogen werden, die in keiner Beziehung zu dem Tatvorwurf stehen und den Eingriff durch ihr Verhalten nicht veranlasst haben".
Trotz Nichtannahme der Beschwerde machte das BVerfG damit sehr deutlich: Diese Durchsuchung hätte nicht stattfinden dürfen. Der Deutsche Anwaltsverein (DAV) hatte im vergangenen Jahr eine Stellungnahme zu der Verfassungsbeschwerde abgegeben. Darin hatte er die Sorge zum Ausdruck gebracht, dass ein solches Vorgehen der Ermittlungsbehörden kein Einzelfall sei. Der Durchsuchungsbeschluss hätte dabei "exakt dem Antrag der Staatsanwaltschaft" entsprochen, "was (leider) nicht ungewöhnlich" sei.
Recht bekommen und trotzdem verloren: . In: Legal Tribune Online, 10.09.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/58117 (abgerufen am: 09.11.2025 )
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