Druckversion
Freitag, 7.11.2025, 07:34 Uhr


Legal Tribune Online
Schriftgröße: abc | abc | abc
https://www.lto.de//recht/nachrichten/n/bverfg-durchsuchung-bei-rechtsanwaelten-berufstraeger-kanzlei
Fenster schließen
Artikel drucken
58117

Recht bekommen und trotzdem verloren: BVerfG bean­standet Durch­su­chung in Ham­burger Kanz­lei­räumen

von Maryam Kamil Abdulsalam

10.09.2025

Ein Polizeibeamter trägt im Rahmen einer Razzia Kartons zu einem Polizeiwagen (Symbolbild)

An die Durchsuchung von Kanzleiräumen stellt das BVerfG hohe Anforderungen (Symbolbild). Foto: picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow

Hausdurchsuchungen sind grundsätzlich wegen aller möglichen Straftaten zulässig. Bei Anwaltskanzleien stellt das BVerfG aber höhere Anforderungen auf. Die wurden in einem Hamburger Fall nicht eingehalten – doch der Anwalt unterlag trotzdem.

Anzeige

Bei einem Hamburger Rechtsanwalt wurden 2023 Kanzleiräume durchsucht und sein Computer beschlagnahmt. Hiergegen erhob er Verfassungsbeschwerde, auch der Deutsche Anwaltverein (DAV) meldete sich zu Wort. Die Verfassungsbeschwerde scheiterte nun, das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nahm sie mit einem am Mittwoch veröffentlichten Beschluss vom 21. Juli (Az. 1 BvR 398/24) wegen Unzulässigkeit nicht zur Entscheidung an. Die 2. Kammer des Ersten Senats ging dennoch ausführlich auf die Durchsuchung ein und stellte eine Grundrechtsverletzung fest. Die strengen Maßstäbe, die das Gericht in der Vergangenheit für die Durchsuchung von Kanzleiräumen aufgestellt hat, seien nicht eingehalten worden.

Damit verlor der Hamburger Anwalt, obwohl er recht bekam. Hintergrund des Falls ist ein Streit zwischen ihm und einer ehemaligen Mandantin über ein anwaltliches Honorar für die Prozessvertretung in einem in München geführten Prozess. Die Mandantin verweigerte die Zahlung, weil das Honorar nicht ihr, sondern einer den Prozess unterstützenden GmbH habe in Rechnung gestellt werden müssen. Zudem erstattete sie Strafanzeige wegen Parteiverrats und Prozessbetrugs. 

Die Staatsanwaltschaft Hamburg nahm Ermittlungen auf, stellte sie aber zunächst wieder ein. Auf eine Beschwerde der Mandantin und Vorlage einer E-Mail aus der Kanzlei nahm sie die Ermittlungen hinsichtlich des Prozessbetrugs wieder auf. 

BVerfG betont Schutz unbeteiligter Mandanten 

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft erließ das Amtsgericht Hamburg im Sommer 2023 einen Durchsuchungsbeschluss für die Räume der Rechtsanwaltskanzlei, gegen den sich der Anwalt mit der Verfassungsbeschwerde gewendet hat. Bei der Durchsuchung der Büros wurde ein Computer beschlagnahmt. Die Beschwerde des Anwalts gegen den Durchsuchungsbeschluss verwarf das Landgericht Hamburg Anfang 2024 als unbegründet (Beschl. v. 04.01.2024, Az. 628 Qs 25/23). Das BVerfG sah es nun anders, nahm die Beschwerde aber nicht zur Entscheidung an. Die Verfassungsbeschwerde sei unzulässig, weil der Anwalt nicht substantiiert vorgetragen habe, zuvor eine Gehörsrüge erhoben und damit den Rechtsweg erschöpft zu haben. Dies ist nach § 90 Abs. 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz aber Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Verfassungsbeschwerde. 

Das BVerfG befasste sich nicht zum ersten Mal mit Durchsuchungen von Kanzleiräumen bzw. Anwälten. Zuletzt hatte das Karlsruher Gericht über eine Verfassungsbeschwerde der Kanzlei Jones Day zu entscheiden, deren Räumlichkeiten am Münchener Standort waren im Rahmen des VW-Dieselskandals durchsucht worden. Auch diese Beschwerde nahm das BVerfG nicht zur Entscheidung an, auch aus Unzulässigkeitsgründen. Anders als nun der Erste Senat bezog der Zweite Senat damals keine Stellung zu den Verhältnismäßigkeitsanforderungen bei Durchsuchungen von Kanzleiräumen (Beschl. v. 27.06.2018, Az. 2 BvR 1562/17). 

Das BVerfG leitet die strengen Anforderungen der Verhältnismäßigkeit aus drei Aspekten ab. Erstens greift die Durchsuchung beruflich genutzter Räume maßgeblich in die Unverletzlichkeit der Wohnung des Anwalts aus Art. 13 Abs. 1, 2 Grundgesetz (GG) ein. Zweitens wird durch die Sichtung und Beschlagnahme von Akten und Daten des Rechtsanwalts das Recht der Mandanten auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG der Mandanten beeinträchtigt. Den Ermittlungsbehörden werden dadurch schließlich Informationen bekannt, die sowohl von beteiligten als auch von unbeteiligten Mandanten stammen, die ihre Daten in der Sphäre des Berufsgeheimnisträgers jedoch gerade sicher wähnen durften. Drittens beschädigen diese Eingriffe die Vertrauensbeziehung zwischen Anwalt und Mandanten massiv. Dieser Schutz steht im Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven und geschützten Rechtspflege.

Straftat von erheblicher Bedeutung muss vorliegen

Das BVerfG leitet daraus eine Pflicht der Ermittlungsbehörden zur "besonders sorgfältigen Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit" ab. Konkret bedeutet das für die Staatsanwaltschaft: Die Beweismittel müssen besonders belastbar sein und die Wahrscheinlichkeit, bei der Durchsuchung ergiebige Beweismittel zu finden, darf nicht bloß vage sein. Außerdem muss die Durchsuchung der Aufklärung einer Straftat von erheblicher Bedeutung dienen. Dazu macht das Gericht auch eine konkrete Vorgabe: "Straftaten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe unter fünf Jahren bedroht sind, können nicht mehr ohne Weiteres dem Bereich der Straftaten von erheblicher Bedeutung zugerechnet werden", so etwa ein Beschluss aus dem Jahr 2015 (Az. 2 BvR 497/12).

Trotz Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde ging die 2. Kammer des Ersten BVerfG-Senats dezidiert auf diese Voraussetzungen ein. Das Ergebnis: Die Durchsuchung wird den strengen Anforderungen der Verhältnismäßigkeit von Durchsuchungen bei Rechtsanwälten nicht gerecht. Bereits die in Frage stehende Straftat des Prozessbetrugs ist keine Straftat von erheblicher Bedeutung. Zudem sei die Auffindewahrscheinlichkeit zu gering gewesen. Der Anwalt habe damit gerechnet, dass eine Durchsuchung ansteht, sodass der Durchsuchungserfolg von Anfang an ungewiss gewesen sei. 

DAV: Durchsuchung von Kanzleien kein Einzelfall

Und auch in diesem Fall betonten die Richter wieder den Schutz unbeteiligter Mandanten: Die Durchsuchung sei deswegen besonders eingriffsintensiv gewesen, weil "die strafprozessuale Maßnahme […] eine Streubreite aufweist und daher zahlreiche Personen in den Wirkungsbereich der Maßnahme mit einbezogen werden, die in keiner Beziehung zu dem Tatvorwurf stehen und den Eingriff durch ihr Verhalten nicht veranlasst haben".

Trotz Nichtannahme der Beschwerde machte das BVerfG damit sehr deutlich: Diese Durchsuchung hätte nicht stattfinden dürfen. Der Deutsche Anwaltsverein (DAV) hatte im vergangenen Jahr eine Stellungnahme zu der Verfassungsbeschwerde abgegeben. Darin hatte er die Sorge zum Ausdruck gebracht, dass ein solches Vorgehen der Ermittlungsbehörden kein Einzelfall sei. Der Durchsuchungsbeschluss hätte dabei "exakt dem Antrag der Staatsanwaltschaft" entsprochen, "was (leider) nicht ungewöhnlich" sei.

  • Drucken
  • Senden
  • Zitieren
Zitiervorschlag

Recht bekommen und trotzdem verloren: . In: Legal Tribune Online, 10.09.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/58117 (abgerufen am: 09.11.2025 )

Infos zum Zitiervorschlag
  • Mehr zum Thema
    • Strafrecht
    • Anwaltsberuf
    • BVerfG
    • Durchsuchung
    • Rechtsanwälte
  • Gerichte
    • Bundesverfassungsgericht (BVerfG)
    • Amtsgericht Hamburg
    • Landgericht Hamburg
Ein junger Mann in Anzug mit gelber Krawatte strahlt Selbstsicherheit aus, bereit für vielfältige Prüfungen in seinem Leben. 08.11.2025
Berufswege

Anwalt und Opernsänger:

"Vor meiner münd­li­chen Prü­fung habe ich noch 'Roméo et Juliette' gesungen"

Christoph Engel-Bunsas eröffnet bald seine eigene Kanzlei – und ist auch Opernsänger. Im Interview erzählt er, wie er das unter einen Hut bringt und wieso wir ein Recht an der eigenen Stimme brauchen.

Artikel lesen
Das Bild zeigt eine Podcast-Episode mit Christina Valdini, Themen sind juristische Verfahren, KI und Prozessrisikoanalyse. 06.11.2025
Anwaltsberuf

Jura-Karriere-Podcast:

Als Counsel im Liti­ga­tion-Team

In der aktuellen Folge von Irgendwas mit Recht erzählt Christina Valdini von ihrer Tätigkeit als Prozessanwältin bei DLA Piper. Dabei geht es auch um KI, Kanzleiwechsel sowie die Vereinbarkeit von Großkanzleiarbeit und Elternschaft.

Artikel lesen
Ronska Grimm 06.11.2025
Most Wanted

Köpfe:

LTO Most Wanted mit Ronska Grimm

Ronska Grimm über Gerechtigkeit, die Bedeutung von Kommunikation in der anwaltlichen Tätigkeit, Anti-Bias-Trainings im Studium und Änderungsbedarf im Sexualstrafrecht.

Artikel lesen
Georg Eisenreich 05.11.2025
Anwaltsberuf

JuMiKo-Initiative Bayerns:

Rechts­schutz­ver­si­cherer sollen Anwälte ersetzen

Bayern möchte Rechtsschutzversicherern erlauben, ihre Versicherungsnehmer außergerichtlich zu beraten und zu vertreten. Dafür soll das Rechtsdienstleistungsgesetz geändert werden. Die Anwaltschaft ist in großer Sorge.

Artikel lesen
Eine Frau in einer Kirche 05.11.2025
Kirche

BVerfG-Entscheidung zum Selbstbestimmungsrecht der Kirche:

Egen­berger hat längst nicht ver­loren

Der Fall der konfessionslosen Bewerberin Egenberger geht zurück zum BAG. Dennoch hat das BVerfG die Kirchen in ihrem Selbstbestimmungsrecht mit dem Beschluss wesentlich beschnitten. Die müssen ihre Entscheidungen nämlich nun begründen.

Artikel lesen
Bundesverfassungsgericht 04.11.2025
BVerfG

Rätselhafter Vorstoß aus NRW:

Das BVerfG ent­lasten - aber wie?

Ein Vorschlag aus dem Justizministerium NRW gibt Rätsel auf: Das BVerfG soll von Arbeit entlastet und resilienter zu werden. Statt konkreter Vorschläge gibt es nur Andeutungen. Auch dazu, welche Sorge um das Gericht ihn antreibt.

Artikel lesen
lto karriere logo

Deine Karriere beginnt hier.

Registrieren und nie wieder einen Top-Job verpassen

logo lto karriere
Jetzt registrieren bei LTO Karriere

Finde den Job, den Du verdienst 100% kostenlos registrieren und Vorteile nutzen

  • LTO Job Matching: Finde den Job & Arbeitgeber, der zu Dir passt.
  • Jobs per Mail: Verpasse keine neuen Job-Angebote mehr.
  • One-Klick Bewerbung: Dein Klick zum neuen Job, einfach und schnell.
Das Passwort muss mindestens 8 Zeichen lang sein und mindestens einen Großbuchstaben, einen Kleinbuchstaben, eine Zahl und ein Sonderzeichen enthalten (z.B. #?!@$%^&*-).
Pflichtfeld *

Nur noch ein Klick!

Wir haben Dir eine E-Mail gesendet. Bitte klicke auf den Bestätigungslink in dieser E-Mail, um Deine Anmeldung abzuschließen.

Weitere Infos & Updates einfach und kostenlos direkt ins Postfach.

LTO Karriere Newsletter

Das monatliche Update mit aktuellen Stellenangeboten & Karriere-Tipps.

LTO Daily

Jeden Abend um 18 Uhr die wichtigsten News vom Tag.

LTO Presseschau

Jeden Morgen um 7:30 Uhr die aktuelle Berichterstattung über Recht und Justiz.

Pflichtfeld *

Fertig!

Um die kostenlosen Nachrichten zu beziehen, wechsle bitte nochmal in Dein Postfach und bestätige Deine Anmeldung mit dem Bestätigungslink.

Du willst Dein Bewerberprofil direkt anlegen?

Los geht´s!
ads lto paragraph
lto karriere logo
ads career people

Wir haben die Top-Jobs für Jurist:innen

Jetzt registrieren
logo lto karriere
TopJOBS
Logo von Oberlandesgericht Celle
Rich­ter/-in (w/m/d) bzw. Staats­an­walt / -an­wäl­tin (w/m/d) im Be­zirk des...

Oberlandesgericht Celle , Han­no­ver

Logo von Oberlandesgericht Celle
Rich­ter/-in (w/m/d) bzw. Staats­an­walt / -an­wäl­tin (w/m/d) im Be­zirk des...

Oberlandesgericht Celle

Logo von Personalamt der Freien und Hansestadt Hamburg
Voll­ju­rist:in­nen (m/w/d) - Trainee­pro­gramm für an­ge­hen­de...

Personalamt der Freien und Hansestadt Hamburg , Ham­burg

Logo von REDEKER SELLNER DAHS
Re­fe­ren­da­rin/​Re­fe­ren­dar (m/​w/​d) Straf­recht

REDEKER SELLNER DAHS , Bonn

Logo von Wolters Kluwer
Ju­rist als Pro­dukt­ma­na­ger Print & On­li­ne (m/w/d)

Wolters Kluwer , Hürth

Logo von Clifford Chance Partnerschaft mbB
BACKS­TA­GE - Das Pro­gramm für Prak­ti­kant*In­nen am Stand­ort Mün­chen Früh­jahr...

Clifford Chance Partnerschaft mbB , Mün­chen

Logo von Oberlandesgericht Celle
Rich­ter/-in (w/m/d) bzw. Staats­an­walt / -an­wäl­tin (w/m/d) im Be­zirk des...

Oberlandesgericht Celle

Logo von FPS Rechtsanwaltsgesellschaft mbH & Co. KG
Stu­den­ti­sche Aus­hil­fe (m/w/d)

FPS Rechtsanwaltsgesellschaft mbH & Co. KG , Ham­burg

Mehr Stellenanzeigen
logo lto events
Logo von Hengeler Mueller
Dispute Resolution INSIGHTS: Lerne unser Team kennen

19.11.2025, Frankfurt am Main

Wegzüge und Zuzüge im Steuerrecht

10.11.2025

Logo von Fieldfisher
Real Estate Praxis Update: Der Blick ausländischer Investoren auf den Immobilienmarkt Deutschland

13.11.2025, Hamburg

Logo von e-fellows.net GmbH & Co. KG
LL.M. Day München

22.11.2025, München

§ 15 FAO - Designrecht / Produktschutz

10.11.2025, Hamburg

Mehr Events
Copyright © Wolters Kluwer Deutschland GmbH