Muss die Bundesregierung verhindern, dass die USA ihren Stützpunkt in Ramstein für tödliche Drohneneinsätze im Jemen nutzt? Das Bundesverfassungsgericht wird die Klage von zwei Jemeniten wohl ablehnen, prognostiziert Christian Rath.
Die USA kämpft weltweit gegen die islamistischen Terrororganisationen Al Qaida und Islamischer Staat. Oft setzt sie dabei bewaffnete Drohnen ein. Diese werden zwar von den USA aus gesteuert. Wegen der Erdkrümmung braucht das Signal aber unterwegs eine Relaisstation. Hierfür nutzt die USA die Airbase in Ramstein.
Anlass des Rechtstreits ist ein Vorfall im Jahr 2012. Ein Geistlicher in der jemenitischen Provinz Hadramaut hatte in der Predigt vor Al Qaida gewarnt. Am nächsten Tag wollten ihn drei Al Qaida-Vertreter zur Rede stellen. Der Geistliche traf sich mit ihnen, nahm zur Sicherheit aber noch einen Polizisten mit. Das Treffen endete tödlich. Eine US-Drohne tötete alle fünf Männer, nicht nur die Al-Qaida-Leute, sondern auch ihre Gegner.
Zwei Neffen des Geistlichen klagen seitdem gegen die US-Drohnenangriffe. Sie fürchten auch um ihr Leben und das ihrer Familien, sie berufen sich dabei auf das Recht auf Leben gem. Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz. Sie machen geltend, dass die Drohnenangriffe nicht genug zwischen Kämpfern und Zivilisten unterscheiden und damit das Völkerrecht verletzten. Das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) unterstützt die Klagen in Deutschland. Deutschland treffe eine aus den Grundrechten folgende Schutzpflicht, weil die Angriffe ohne die Relaistation in Ramstein nicht möglich wären.
Gerichte entschieden unterschiedlich
Das Verwaltungsgericht Köln lehnte die Klage 2015 ab. Im März 2019 konnten die Jemeniten beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster jedoch einen unerwarteten Erfolg erzielen. Das Gericht stellte fest, es gebe "gewichtige Anhaltspunkte", dass die US-Drohnen-Angriffe im Jemen zumindest teilweise gegen Völkerrecht verstießen. Die USA könnten sich nicht auf einen weltweiten "Krieg gegen den internationalen Terrorismus" berufen.
Die Münsteraner Richter stellten damals fest, die US-Airbase in Ramstein sei ein "notwendiges Bindeglied" der Drohnen-Steuerung. Deutschland habe daher eine Schutzpflicht für jemenitische Bürger gegen rechtswidrige Drohnenangriffe, an denen die Airbase beteiligt ist. Dieser Schutzpflicht sei die Bundesregierung bisher noch "nicht ausreichend" nachgekommen.
Die Revision der Bundesregierung gegen das Münsteraner Urteil hatte dann aber ebenfalls Erfolg. 2020 hob das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig die OVG-Entscheidung auf und lehnte die Klage der Jemeniten in vollem Umfang ab.
So fanden es die Leipziger Richter schon fraglich, ob Deutschland hier tatsächlich eine Schutzpflicht zugunsten der jemenitischen Bevölkerung hat. Zum einen sei der Bezug zu Deutschland zu gering, wenn in Ramstein nur ein Datenstrom durchfließe. Zum anderen dürfe das OVG bei der Frage, was völkerrechtswidrig ist, nicht nur seine eigene Auffassung zugrundelegen, sondern müsse auch andere "vertretbare" Positionen berücksichtigen. Und selbst wenn es eine Schutzpflicht gegen völkerrechtswidrige US-Drohnenangriffe gäbe, habe Deutschland genug unternommen, um der Schutzpflicht auch gerecht zu werden: Die Bundesregierung habe das Problem gegenüber den USA thematisiert und zudem eine Zusicherung eingeholt, dass die Aktivitäten auf der Airbase "in Einklang mit dem geltenden Recht" erfolgen.
Gegen die Entscheidung des BVerwG erhoben die beiden Jemeniten Verfassungsbeschwerden. Sie leben immer noch in ihrem Heimatdorf und waren nicht nach Karlsruhe gekommen.
Hat Deutschland eine extraterritoriale Schutzpflicht
Ob Deutschland eine Schutzpflicht für Jemeniten und andere potenzielle Drohnenopfer hat, war jetzt auch die zentrale Frage bei der mündlichen Verhandlung des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgericht. Vizepräsidentin Doris König machte eingangs deutlich, dass die Frage noch nicht geklärt ist.
In der BND-Entscheidung (Urteil vom 19.05.2020; Az.: 1 BvR 2835/17) habe das BVerfG zwar entschieden, dass die Bindung deutscher Staatsgewalt an die Grundrechte nicht auf das deutsche Staatsgebiet beschränkt ist. Damals aber ging es um die abwehrrechtliche Dimension der Grundrechte, nicht um Schutzpflichten. Das Gericht habe damals auch angedeutet, dass im Ausland zwischen verschiedenen Grundrechtsdimensionen zu unterscheiden ist, also etwa auch zwischen der Wirkung als Abwehrrecht und als Grundlage von Schutzpflichten.
In der Klimaschutz-Entscheidung (Beschluss vom 24.03.2021; Az.: 1 BvR 2656/18) hatte das Gericht zwar das Bestehen einer extraterritroialen Schutzpflicht zugunsten von Kläger:innen aus Nepal und Bangladesch für möglich gehalten. Letztlich hatte der Erste Senat die Frage aber offengelassen und festgestellt, dass eine solche Pflicht ggf. jedenfalls nicht verletzt wurde. Am Dienstag sagte König zwischendurch, der Erste Senat habe hier den "Heldennotausgang" genommen.
Für die Bundesregierung lehnte der parlamentarische Verteidigungs-Staatsekretär Thomas Hitschler (SPD) eine Verantwortung für das Verhalten von Drittstaaten wie den USA ab. Die deutsche Bündnisfähigkeit wäre beeinträchtigt, wenn Deutschland ständig das globale Handeln seiner Partnerstaaten kontrollieren und korrigieren müsste.
Rechtsprofessor Sebastian Graf von Kielmannsegg, der die Bundesregierung vertrat, warnte: "Mit einer solchen Allzuständigkeit würde sich Deutschland überfordern." Die Beschwerdebefugnis sei hier ein nützlicher Filter. Eine Schutzpflicht sei nur bei einem "wesentlichen Inlandsbezug" denkbar, jedenfalls nicht bei einer bloßen Datendurchleitung.
Für die Kläger argumentierte der Anwalt Sönke Hilbrans: "Deutsche Grundrechte gelten dort, wo deutsche Staatsgewalt wirkt, also auch im Ausland", es gebe hier keine Ausnahmen für Schutzpflichten. Sein Kollege Andreas Schüller vom ECCHR ergänzte: "Deutschland muss nicht im Jemen handeln, sondern in Rheinland-Pfalz". In Ramstein gebe es nicht nur die Datenrelaisstation, dort säßen auch Analysten, die Drohnenbilder auswerten. Rechtsprofessor Thilo Marauhn, der auch zum Kläger-Team gehörte, verwies darauf, dass Deutschland den USA Territorium zur Verfügung gestellt habe; daraus resultiere eine "Gewährleistungsverantwortung".
Richter:innen zeigten sich skeptisch
Die Richter:innen diskutierten lebhaft: "Was gilt, wenn ein US-Soldat ins Kriegsgebiet reist und auf dem Frankfurter Flughafen zwischenlandet?", fragte Richter Thomas Offenloch. Kläger Anwalt-Hilbrans antwortete: "Wenn eine islamistische Terrorgruppe in Deutschland zwischenlandet und die Bundesregierung weiß davon, dann würden wir ernsthafter über eine Schutzpflicht diskutieren."
Auch Richter Ulrich Maidowski fragte: "Wenn ich einen Nachbarn auf mein Grundstück lasse, damit er einen besseren Schusswinkel hat, weil er jemand erschießen will, dann habe ich doch eine gewisse Verantwortung?" Rechtsprofessor Sebastian Graf von Kielmannsegg, der die Bundesregierung vertritt, fand den Vergleich jedoch unpassend. "Die USA schießen in Deutschland keine Raketen ab, es geht nur um eine Datenleitung."
Mehrere Richter:innen, etwa Christine Langenfeld und Rhona Fetzer, deuteten an, dass ihnen eine deutsche "Schutzpflicht für Ausländer im Ausland gegen Maßnahmen eines Drittstaats" zu weit geht.
Doch auch wenn Deutschland eine Schutzpflicht haben sollte, hieße dies nicht zwingend, dass die Steuerung von Drohneneinsätze über Ramstein eingestellt werden müsste. Es könnte auch genügen, dass die Bundesregierung ernsthaft versuchen muss, auf die USA einzuwirken.
Risiko bei Drohnenangriff und Bombenabwurf ähnlich?
Am Nachmittag ging es dann im Schwerpunkt um völkerrechtliche Fragen. Die beiden als Sachverständige geladenen Rechtsprofessor:innen Heike Krieger und Stefan Oeter machten deutlich, dass die US-Vorstellung eines globalen "War on Terror" gegen terroristische Gruppierungen weltweit nicht geteilt wird und damit "jenseits des Vertretbaren" liegt.
Oeter gab aber zu bedenken, dass die Drohnen-Einsätze meist, wie in Jemen, im Rahmen eines nicht-staatlichen bewaffneten Konflikts erfolgen.
Die USA stehen dann an der Seite der jeweiligen Regierung und bekämpfen nicht-staatliche bewaffnete Gruppen. Das sei völkerrechtlich unproblematisch.
Beide Sachverständige betonten, dass Drohneneinsätze grundsätzlich nicht völkerrechtswidrig sind. Drohneneinsätze könnten sogar präziser sein als andere Waffensysteme, weil die Auswertung von Kamerabildern mehr Informationen über den Zielraum verschaffe. Problematisch könne aber sein, so Krieger, dass die Möglichkeit aus der Beobachtung direkt in den Angriff überzugehen, Fehlentscheidungen begünstige, weil bestimmte Kontrollschleifen entfallen, die etwa bei Bombardements üblich seien.
Oeter glaubt jedoch, dass das strukturelle Risiko von Völkerrechtsverletzungen bei Drohneneinsätzen nicht höher sei als bei anderen Distanzwaffen wie Raketen und Bombenflugzeugen.
Auch diese Aussagen dürften die Erfolgsaussichten der Verfassungsbeschwerden nicht erhöht haben. Das Urteil wird in einigen Monaten verkündet.
Verhandlung des BVerfG: . In: Legal Tribune Online, 17.12.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56133 (abgerufen am: 12.02.2025 )
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