BVerfG zur nachträglichen Sicherungsverwahrung: Auch nach psychiatrischer Unterbringung nur ausnahmsweise möglich

27.02.2013

Die nachträgliche Sicherungsverwahrung darf auch dann nur unter sehr engen Voraussetzungen angeordnet werden, wenn der Betroffene zuvor in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht war. Vor allem in den sogenannten Altfällen dürfen die Straftäter fast absolut darauf vertrauen, dass keine nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet wird, entschieden die Karlsruher Richter mit einem am Mittwoch bekannt gewordenen Beschluss.

Ein weiteres Mal hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) seine neue Rechtsprechung zur Sicherungsverwahrung bekräftigt. Der 2. Senat gibt mit den Beschlüssen (v. 06.02.2013, Az. 2 BvR 2122/11, 2 BvR 2705/11) zwei Sicherungsverwahrten Recht, die sich gegen deren nachträgliche Anordnung bis hin zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hin gewehrt hatten. 

Bei beiden Sexualstraftätern hatten die Gerichte nach einem für erledigt erklärten Maßregelvollzug mit demselben Argument nachträglich Sicherungsverwahrung verhängt: Deren Anordnung ersetze lediglich eine andere unbefristete freiheitsentziehende Maßnahme, nämlich die psychiatrische Unterbringung.

Im zweiten Anlauf kamen die Gerichte damit in Kalrsruhe nicht mehr durch. Nachdem die Sicherungsverwahrten vor dem EGMR nicht nur Recht, sondern auch eine Entschädigung bekommen hatten, haben die Oberlandesgerichte nun erneut über die Fortdauer der Sicherungsverwahrung zu befinden.

Dabei haben sie den strengen Verhältnismäßigkeitsmaßstab anzulegen, den Karlsruhe vor zwei Jahren vorgab: Nur wenn sich aus aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten ableiten lässt und dieser an einer psychischen Störung leidet, könnte die Fortdauer ausgesprochen werden.

Strenge Anforderungen an Verwahrung bei Altfällen

Bei beiden Betroffenen handelt es sich um sogenannte Altfälle. Das sind Straftäter, die verurteilt wurden, bevor die Vorschrift des § 66b Strafgesetzbuch in Kraft trat, welche die nachträgliche unbefristete Sicherungsverwahrung möglich machte.

Mit Grundsatzurteil vom 4. Mai 2011 erklärten die höchsten deutschen Richter die Regelung für verfassungswidrig und gab dem Gesetzgeber auf, spätestens bis zum 31. Mai dieses Jahres eine verfassungsgemäße Neuregelung zu schaffen.

Bis dahin darf die Sicherungsverwahrung nur dann nachträglich angeordnet werden, wenn der Betroffene hochgradig gefährlich ist und an einer psychischen Störung leidet.

Betroffene genießen fast "absoluten Vertrauensschutz"

Im nun entschiedenen Fall kamen damit gleich zwei Dinge zusammen: So stellten die Karlsruher Richter klar, dass die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung keineswegs nur eine "Überweisung" des Betroffenen von einer zeitlich unbegrenzten freiheitsentziehende Maßnahme in eine andere sei, auch wenn dieser zuvor in psychiatrischer Unterbringung war.

Vielmehr ist die Sicherungsverwarhung nach Ansicht der Richter ein neuer, eigenständiger Grundrechtseingriff, zumal sie überhaupt erst angeordnet werden kann, wenn die Unterbringung zuvor für erledigt erklärt wurde. Auch qualitativ sei letztere mit der Sicherungsverwahrung, welche zudem nicht von der Strafvollstreckungskammer, sondern durch das Tatgericht angeordnet wird, nicht vergleichbar.

Der 2. Senat betont aber auch stark den Vertrauensschutz, wenn er explizit Bezug auf die Rechtsprechung des EGMR nimmt, der die nachträgliche Sicherungsverwahrung nur bei einer psychischen Störung für europarechtmäßig halte: Das Vertrauen der Betroffenen, die verurteilt wurden, bevor es eine unbegrenzte nachträgliche Sicherungsverwahrung überhaupt gab, nähere sich einem "absoluten Vertrauensschutz" an.

Da die Beschwerdeführer ausweislich der Feststellungen der Instanzgerichte beide nicht oder nicht mehr an psychischen Störungen litten, dürften die nun anstehenden neuen Entscheidungen zu ihren Gunsten ausgehen.

pl/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

BVerfG zur nachträglichen Sicherungsverwahrung: Auch nach psychiatrischer Unterbringung nur ausnahmsweise möglich . In: Legal Tribune Online, 27.02.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8231/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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