Indem der BGH eine Bestimmung des Planungsschadensrechts im BauGB, welche er für verfassungswidrig hielt, in "unvertretbarer Weise" verfassungskonform ausgelegt und deshalb nicht dem BVerfG vorgelegt hat, hat er nach Ansicht des BVerfG gegen die grundgesetzliche Garantie des gesetzlichen Richters verstoßen. Dies geht aus einem am Dienstag bekannt gegebenen Beschluss aus Dezember vergangenen Jahres hervor.
Im Ausgangsverfahren hatte die Enteignungsbehörde einer Gemeinde gegen die gerichtlich festgesetzte Höhe einer Entschädigung geklagt, welche sie dem Eigentümmer eines Grundstücks für dessen Übernahme zahlen sollte.
1993 hatte sie das Grundstück per Verordnung einem Sanierungsgebiet mit Grünflächen zugeordnet und einen Bauantrag des Eigentümers deshalb im Jahr 2004 abgelehnt. Der beantragte daraufhin die Übernahme des Grundstücks durch die Gemeinde, über den Preis konnte man sich aber nicht einigen. Die Enteignungsbehörde bot dem Eigentümer 105.500 Euro an, den auf Basis der tatsächlichen Nutzung gutachterlich ermittelten Verkehrswert des Grundstücks. Sie stützte sich dabei darauf, dass das Grundstück nicht innerhalb der Sieben-Jahres-Frist des § 42 Baugesetzbuch (BauGB) genutzt worden sei. Der Eigentümer legte hingegen die planungsrechtlich grundsätzlich noch zulässige Nutzung als Baugrundstück im Wert von 225.000 Euro zugrunde.
Der Bundesgerichtshof (BGH) als letztinstanzliches Fachgericht gab ihm Recht. Denn wenn die Planung, welche später zur Enteignung führt, nicht von einer gleichzeitigen allgemeinen Nutzungsbeschränkung im Plangebiet begleitet werde, könne ungeachtet der Sieben-Jahres-Frist des § 42 Abs. 2 und 3 BauGB eine Entschädigung nach der planungsrechtlich zulässigen Nutzbarkeit verlangt werden, so der BGH. Dies gelte auch, wenn ein Bebauungsantrag wegen entgegenstehender Ziele und Zwecke der Sanierung abgelehnt worden sei, die Verweisung in § 95 Abs. 2 Nr. 7 BauGB sei auch in diesem Fall verfassungskonform einschränkend auszulegen - und damit nicht anzuwenden.
BVerfG: Nichtanwendung statt Nicht-Vorlage nicht vertretbar
Dies sei eine "unvertretbare verfassungskonforme Auslegung" des § 95 Abs. 2 Nr. 7 BauGB, entschied nun das Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Denn der BGH selbst betrachte in seiner ständigen Rechtsprechung die Regelung des Planungsschadensrechts in § 95 Abs. 2 Nr. 7 BauGB als verfassungswidrig und hätte daher nach Ansicht der Verfassungsrichter die Norm gemäß Art. 100 Abs. 1 GG dem BVerfG vorlegen müssen. "Ein Fachgericht verletzt die Garantie des gesetzlichen Richters insbesondere dann, wenn es die Vorlage einer Norm, von deren Verfassungswidrigkeit es ansonsten überzeugt wäre, unterlässt, weil es in nicht vertretbarer Weise die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung des betreffenden Gesetzes annimmt", so der Erste Senat.
Hierin liege ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und mithin eine Vorenthaltung des gesetzlichen Richters. Der Senat hebt hervor, dass die Vorlagepflicht des Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz (GG) Verfassungsrang hat. Bei einer unterlassenen Vorlage müsse daher "bezogen auf die Rechtsanwendung als solche (...) kein besonders schwerer Fehler des Fachgerichts vorliegen", damit diese als eine Missachtung der Garantie des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG anzusehen sei.
Trösten wird das den BGH nicht. Schließlich hält das BVerfG es weder mit Blick auf den eindeutigen Wortlaut der baurechtlichen Verweisungsnorm, die keine Ausnahmen vorsehe, noch auf deren Entstehungsgeschichte für sachlich vertretbar, die Verweisung in bestimmten Fällen einfach nicht anzuwenden. Das BVerfG hob daher das Urteil des BGH auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung zurück an die Bundesrichter (Beschl. v. 16.12.2014, Az. 1 BvR 2142/11).
mbr/LTO-Redaktion
BVerfG zur unterlassenen Richtervorlage: . In: Legal Tribune Online, 27.01.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14495 (abgerufen am: 14.10.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag