BVerfG zum Entschädigungsanspruch eines Häftlings: 5,25 Quad­r­at­meter sind unwürdig

16.09.2015

Das BVerfG hat teilweise einer Verfassungsbeschwerde stattgegeben, die eine Haftunterbringung auf 5,25 Quadratmetern rügte. Die JVA hatte nicht innerhalb der vorgesehenen Frist für bessere Verhältnisse gesorgt.

Die fortdauernde Inhaftierung in einer zu kleinen Zelle nach Ablauf einer Übergangsfrist stellt ein schuldhaftes Handeln dar, das amtshaftungsrechtliche Ansprüche auslöst. So entschied das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in einem am Mittwoch veröffentlichten Beschluss (v. 14.07.2015, Az. 1 BvR 1127/14).

Der Beschwerdeführer war vom 9. Juni bis zum 23. November 2009 in einer Einzelzelle mit einer Bodenfläche von 5,25 Quadratmetern und räumlich nicht abgetrennter Toilette untergebracht. In einem parallel gelagerten Verfahren stellte der Verfassungsgerichtshof (VerfGH) des Landes Berlin mit am 5. November 2009 veröffentlichtem Beschluss fest, dass der dortige Kläger durch die Unterbringung in einer ebenso kleinen Zelle in seiner Menschenwürde verletzt sei. Auf Basis dieses Urteils erhob der Beschwerdeführer Entschädigungsklage vor dem Kammergericht (KG) Berlin.

Diese wies das KG mit dem vor dem BVerfG angegriffenen Urteil ab. Der Justizvollzugsanstalt sei eine zweiwöchige Übergangsfrist einzuräumen, um die menschenunwürdige Haftsituation zu beenden. Dabei gebiete die verhältnismäßig geringfügige Überschreitung dieser Frist (im Zeitraum vom 20.-23. November 2009) keine Entschädigung in Geld. Auch für die Zeit vom 9. Juni 2009 bis zur Veröffentlichung des Urteils des VerfGH Berlin am 5. November sprach das KG dem Beschwerdeführer keinen Anspruch zu. Das BVerfG hob das Urteil des KG Berlin teilweise auf.

Menschenunwürdige Haftraumgröße bislang ungeklärt

Es stimmt dem KG allerdings insoweit zu, als jenes einen Entschädigungsanspruch des Beschwerdeführers für die Zeit bis zur Bekanntgabe des VerfGH-Urteils und darüber hinaus bis zum Ablauf der Übergangsfrist verneint hatte. Das KG Berlin habe vertretbar angenommen, dass die konkrete Haftraumgröße, ab welcher eine Verletzung der Menschenwürde vorliegt, nicht einfach zu beurteilen gewesen sei. Diese Frage sei inbesondere für Einzelzellen bis zur VerfGH-Entscheidung weder durch die Rechtsprechung noch im Schrifttum abschließend behandelt worden.

Das Urteil des KG könne allerdings keinen Bestand haben, soweit es sich auf den Zeitraum nach Ablauf der Übergangsfrist bezieht, also vom 20. bis 23. November 2009. Die Erwägungen, mit denen das KG einen Amtshaftungsanspruch auch für diesen Zeitraum verneint, werden nach Auffassung des BVerfG der Bedeutung des Grundrechts der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) als Grundlage des Amtshaftungsanspruchs nicht gerecht.

Der Schutzauftrag der Menschenwürde gebiete einen Anspruch auf Ausgleich des immateriellen Schadens, weil anderenfalls ein Verkümmern des Rechtsschutzes der Persönlichkeit zu befürchten wäre. Zwar müsse der gebotene Ausgleich nicht zwingend in der Zubilligung eines Zahlungsanspruchs bestehen. Doch habe das KG einen Ausgleichsanspruch grundsätzlich und in verfassungsrechtlich nicht mehr tragfähiger Weise verneint.

ms/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

BVerfG zum Entschädigungsanspruch eines Häftlings: . In: Legal Tribune Online, 16.09.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16910 (abgerufen am: 03.10.2024 )

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