Das BVerfG hat im Hinblick auf die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde präzisiert, in welchen Fällen eine Anhörungsrüge beim letztinstanzlichen Gericht erhoben werden muss. Dies sei nur in den Fällen nötig, in denen die Verletzung des rechtlichen Gehörs auch Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist oder den Umständen nach ein solcher Verstoß nahe liegt.
Mit einem am Mittwoch bekannt gewordenen Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) klargestellt, wann die Zulässigkeit einer Verfassungbeschwerde von einem Anhörungsrügeverfahren vor dem letztinstanzlichen Fachgericht abhängt. Wenn eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nach Artikel 103 Absatz 1 Grundgesetz (GG) nicht Gegenstand der Verfassungsbeschwerde sei, müsse zuvor keine Anhörungsrüge erhoben werden. In diesen Fällen sei der Rechtsweg auch ohne Rüge erschöpft (Beschl. v. 16.07.2013, Az. 1 BvR 3057/11). Sofern aber den Umständen nach ein Verstoß gegen Artikel 103 Absatz 1 GG nahe liege, könne aus Gründen der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde eine Anhörungsrüge erforderlich sein.
Den Karlsruher Richtern lag eine Verfassungbeschwerde mehrerer Eigentümer von Grundstücken an der Aller vor. Diese hatten ursprünglich vor dem Verwaltungsgericht (VG) Stade Klage gegen einen deichrechtlichen Planfestellungsbeschluss erhoben, demzufolge anstelle einer Hochwasserschutzmauer ein Deich auf einem der Grundstücke errichtet werden sollte. Nachdem das VG ihre Klage abgewiesen hatte, legten die Eigentümer Beschwerde auf Zulassung der Berufung beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht (OVG) in Lüneburg ein. Auch hiermit hatten sie keinen Erfolg. Das VG habe zwar irrig angenommen, das Grundstück werde nur während der Bauzeit in Anspruch genommen, Zweifel am Urteil des VG gebe es aber nicht, da die dauerhafte Einschränkung dieses Grundstücks ordnungsgemäß in die planerische Abwägung eingestellt worden
sei, so das OVG.
OVG hat Sachprüfung unzulässig vorverlagert
Die daraufhin erhobene Verfassungsbeschwerde war schließlich erfolgreich. Der Beschluss des OVG verletze die Grundrechte der Beschwerdeführer auf effektiven Rechtsschutz aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 GG. Dem stehe nicht entgegen, dass sie keine Anhörungsrüge gegen den Beschluss des OVG erhoben hätten. Denn durch die Verfassungsbeschwerde machten sie keine Verletzung ihres Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs geltend.
Das OVG habe den Zugang zur Berufungsinstanz in sachlich nicht zu rechtfertigender Weise verengt. Zweifel an der Richtigkeit eines verwaltungsrechtlichen Urteils seien schon dann begründet, wenn mit schlüssigen Gegenargumenten ein Rechtssatz oder einzelne erhebliche Tatsachenfeststellungen in Frage gestellt werden könnten. Dies sei den Grundstückseigentümern in diesem Fall gelungen. Sie hätten dargelegt, dass das VG von falschen Annahmen über die Festsetzungen im Planfeststellungsbeschluss ausging. Dass das OVG bereits im Berufungszulassungsverfahren eine eigene Prüfung der Abwägungsentscheidung vorgenommen und das Urteil des VG für richtig befunden habe, gehe über den Zweck des Zulassungsverfahrens hinaus, so das BVerfG. Dadurch, dass das OVG die Sachprüfung hierdurch vorverlagert habe, habe es gegen das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz verstoßen.
una/LTO-Redaktion
BVerfG zur Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde: . In: Legal Tribune Online, 07.08.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9306 (abgerufen am: 07.12.2024 )
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