Ein Schwimmbad in Bayern gibt den Einwohnern der Gemeinde einen Rabatt auf den Eintrittspreis. Ein Österreicher fand das diskriminierend. Die bayerische Justiz wies ihn ab - auf nicht nachvollziehbare, unhaltbare Weise, befand das BVerfG.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat der Verfassungsbeschwerde eines Österreichers gegen die Preisgestaltung eines kommunalen Freizeitbads stattgegeben (Beschl. v. 19.07.2016, Az. 2 BvR 470/08). Das von mehreren Gemeinden und einem Landkreis betriebene Schwimmbad im Berchtesgadener Land gewährte den Einwohnern der Gemeinden einen Nachlass auf den Eintrittspreis in Höhe von 2,50 Euro. Der Österreicher fühlte sich dadurch diskriminiert und klagte vor dem Amtsgericht (AG) Laufen auf Rückzahlung der zu viel gezahlten 2,50 Euro und auf Feststellung, dass er den Betrag in Zukunft nicht mehr zu zahlen habe.
Sowohl das AG als auch das Oberlandesgericht (OLG) München wiesen die Klagen ab. Damit haben sie den Österreicher in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verletzt, entschied das BVerfG.Das kommt - acht Jahre nach der Entscheidung des OLG - recht spät. Aber dafür umso deutlicher.
"Schlechterdings nicht nachvollziehbar"
"Die Annahme der Fachgerichte, die Grundrechte des Beschwerdeführers seien vorliegend nicht anwendbar oder jedenfalls nicht verletzt, lässt sich unter keinem Blickwinkel nachvollziehen", heißt es in der am Dienstag veröffentlichten Entscheidung. Besonders das OLG bekommt einen gewaltigen Tadel von den Karlsruher Richtern. Die Entscheidung lasse sich "unter keinen erdenklichen Gesichtspunkten begründen", sei "schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar" und erscheine bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken "nicht mehr verständlich" und "offensichtlich unhaltbar".
Selbstverständlich sei die Trägerin des Schwimmbads unmittelbar und uneingeschränkt an die Grundrechte gebunden, stellt die 3. Kammer des Zweiten Senats klar. Sie ist ein öffentliches Unternehmen, dessen einzige Gesellschafterin eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, die sich ihrerseits auf einen Landkreis und fünf Gemeinden stützt. Die unmittelbare Bindung der öffentlichen Gewalt an die Grundrechte hänge weder von der Organisationsform ab noch von der Handlungsform.
Das gelte auch dann, wenn der Staat oder andere Träger öffentlicher Gewalt auf privatrechtliche Organisationsformen zurückgreifen. In diesen Fällen treffe die Grundrechtsbindung nicht nur die dahinterstehende Körperschaft des öffentlichen Rechts, sondern auch unmittelbar die juristische Person des Privatrechts selbst. Unerheblich sei auch, ob die für den Staat oder andere Träger öffentlicher Gewalt handelnde Einheit "spezifische" Verwaltungsaufgaben wahrnimmt, ob sie erwerbswirtschaftlich oder zur reinen Bedarfsdeckung tätig wird und welchen sonstigen Zweck sie verfolgt.
Vorlagepflicht "offensichtlich unhaltbar gehandhabt"
Auch eine Rechtfertigung für den offensichtlichen Grundrechtseingriff gibt es nach Ansicht des BVerfG nicht. Das Bad sei auf Überregionalität ausgelegt, spreche gezielt Auswärtige an und gerade keine kommunale Aufgabe im engeren Sinne.
Das Urteil des OLG verletze Art. 3 Abs. 1 GG auch in dessen Ausprägung als Willkürverbot. Das Münchener Gericht hatte Art. 56 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und das darin enthaltene Diskriminierungsverbot nicht als Verbotsgesetz im Sinne des § 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) angesehen. Diese Annahme hält das BVerfG für "nicht begründbar".
Schließlich hätten die bayerischen Richter ihr Vorlagepflicht zum Europäischen Gerichtshof "offensichtlich unhaltbar gehandhabt" und hätten sich zum materiellen Unionsrecht hinreichend kundig machen müssen. Damit haben sie, so das BVerfG, den Österreicher in seinem Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) verletzt. Dies gelte zunächst für den Umgang des OLGs mit der Frage, ob das Schwimmbad als öffentliches Unternehmen unmittelbar an die Grundfreiheiten gebunden ist. Ferner habe der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zu Entgeltsystemen für die Nutzung kultureller Einrichtungen, die Gemeindeeinwohner bevorzugen, festgestellt, dass wirtschaftliche Ziele die darin liegende Beschränkung der Grundfreiheiten nicht rechtfertigen könnten. Auch steuerrechtliche Gründe seien nur dann anzuerkennen, wenn ein spezifischer Zusammenhang zwischen der Besteuerung und den Tarifvorteilen bestehe.
acr/pl/LTO-Redaktion
BVerfG zur Preisgestaltung kommunaler Freizeitbäder: . In: Legal Tribune Online, 23.08.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20359 (abgerufen am: 02.10.2024 )
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