BVerfG zum Briefwechsel eines Gefängnisinsassen: Anfor­de­rungen an Anhal­te­ver­fü­gungen sind hoch

14.04.2021

Schreibt ein Inhaftierter Briefe an Vertrauenspersonen, dann dürfen diese nicht ohne Weiteres angehalten werden, selbst wenn Hinweise auf Beleidigungen vorliegen. So entschied das BVerfG, das sich auch zur Schmähkritik äußerte.

Unterhält ein Inhaftierter einen Briefwechsel mit einer Vertrauensperson, dann müssen für eine Anhalteverfügung bezüglich des Briefs andere Maßstäbe gelten als bei Briefen an gewöhnliche Kommunikationspartner. Dies folgt aus dem Schutz der vertraulichen Kommunikation nach dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Außerdem dürfen Gerichte nicht ohne Weiteres annehmen, dass eine Schmähkritik immer aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit herausfällt. Das muss vielmehr immer klar begründet werden. So hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Rahmen einer erfolgreichen Verfassungsbeschwerde eines Gefängnisinsassen entschieden (Beschl. v. 14.04.21, Az. 2 BvR 194/20).

Den Karlsruher Richterinnen und Richtern lag der Fall eines inhaftierten Beschwerdeführers vor, der aus seiner Justizvollzugsanstalt (JVA) heraus einen Brief an eine ferne Verwandte und ehemals Verlobte schickte. Der Brief enthielt zum einen Äußerungen in Bezug auf die Vorgesetzten des Inhaftierten, in denen diese unter anderem als "'Arschloch'" und "'Prolet'" bezeichnet wurden. Außerdem schimpfte der Beschwerdeführer über den "'scheiß Nazi- und Bullenstaat Bayern'". Des Weiteren schilderte er Versuche, bei der Anstaltspsychologin Informationen über eine ehemalige Anstaltsbedienstete zu bekommen, für die er offenbar ein auch sexuelles Interesse hegte.

BVerfG: Unterschied, ob eine Vertrauensbeziehung vorliegt oder nicht

Die JVA erließ gegen diesen Brief eine Anhalteverfügung, gegen die sich der Beschwerdeführer gerichtlich zur Wehr setzte. Damit scheiterte er jedoch sowohl vor dem zuständigen Amtsgericht, Landgericht sowie Oberlandesgericht. Laut LG ist es "'offensichtlich'", dass der Brief Beleidigungen gegenüber Bediensteten enthält und mit anderen Formulierungen die Sicherheit und Ordnung der Anstalt gefährdet wird. Das OLG bestätigte diese Entscheidung mit der Begründung, dass das Angehörigenprivileg nicht mehr greife, wenn die Sicherheit und Ordnung der JVA gefährdet wird.

Dem BVerfG zufolge verletzen diese Gerichtsbeschlüsse den Beschwerdeführer jedoch in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit in Verbindung mit seinem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Die Beschlüsse trügen dem daraus folgenden Vertrauensschutz nicht hinreichend Rechnung.

Die Meinungsfreiheit schütze, so das BVerfG, Werturteile auch ungeachtet eines "ehrschmälernden Gehalts". Zudem habe das OLG ohne Weiteres angenommen, dass es sich in dem Fall um eine Schmähkritik handele, die aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit falle. Das hätte das OLG nach Auffassung des BVerfG erst einmal klar und hinreichend begründen müssen, was das OLG hier gerade nicht getan habe.

BVerfG vermisst "wirksame gerichtliche Kontrolle"

Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht schütze die Privatsphäre und damit auch eine vertrauliche Kommunikation, befand das BVerfG weiter. Insbesondere bei Äußerungen unter Familienangehörigen und Vertrauenspersonen stehe weniger der Aspekt der Meinungskundgabe im Vordergrund, sondern eher der Aspekt der Selbstentfaltung. Bei Inhaftierten, deren Schriftwechsel der Überwachung unterliegt, könnten daher nicht ohne Weiteres dieselben Sanktionen oder andere Eingriffe stattfinden wie wenn die Kommunikation außerhalb solcher Vertrauensbeziehungen stattfindet. 

Außerdem erkannte das BVerfG eine Verletzung des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz des Beschwerdeführers. Das LG habe sich nicht hinreichend mit dessen Ausführungen auseinandergesetzt, die eine Vertrauensbeziehung zu seiner Briefadressatin begründen. Das OLG wiederum habe die verfassungsrechtlichen Darlegungen des Mannes nicht hinreichend berücksichtigt und ohne Weiteres angenommen, dass die Entscheidung des LG der geltenden Rechtslage entspreche. Das, so das BVerfG, lasse eine "wirksame gerichtliche Kontrolle vermissen". 

pdi/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

BVerfG zum Briefwechsel eines Gefängnisinsassen: Anforderungen an Anhalteverfügungen sind hoch . In: Legal Tribune Online, 14.04.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44717/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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