2023 hat der Gesetzgeber im Asylrecht die sogenannte Tatsachenrevision zum BVerwG eingeführt. Die landete nun vor dem BVerfG: Dürfen Asylbewerber abgelehnt werden, bevor das BVerwG über die Bedingungen im Zielland entschieden hat?
Viele Flüchtlinge, die nach Europa wollen, landen zunächst in EU-Staaten mit Außengrezen, vor allem in Italien und Griechenland. Häufig ziehen sie weiter, nicht selten nach Deutschland. Hierzulande können die Behörden ihre Asylanträge ablehnen und etwa die Überstellung ins vorherige EU-Land oder die Abschiebung ins Herkunftsland anordnen.
Asylrechtlich geht es dabei häufig um die Beurteilung der Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat: Wie gefährlich wäre es für den Flüchtling, wenn man ihn in ein bestimmtes Land zurück schickt? Oftmals besteht unter den Verwaltungsgerichten dabei Uneinigkeit.
Um eine einheitliche Rechtsprechung zu erzielen, wurde im Jahr 2023 mit § 78 Abs. 8 Asylgesetz (AsylG) die sogenannte Tatsachenrevision eingeführt: Wenn Oberverwaltungsgerichte (OVG) in ihrer Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- und überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat voneinander oder vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) abweichen, ist eine eine Tatsachenrevision zum BVerwG zulässig. Das heißt, das BVerwG entscheidet, ob in ein gewisses Land überstellt beziehungsweise abgeschoben werden darf. Erstmals entschied das BVerwG am 21. November 2024 eine solche Tatsachenrevision, wie LTO berichtete.
Dass die neu geschaffene Tatsachenrevision Verhandlungsgegenstand des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) werden wird, war nur eine Frage der Zeit, denn die Tatsachenrevision braucht Zeit, während Flüchtlinge sich nicht selten im Eilverfahren zum Beispiel gegen ihre Ablehnung wehren. Das BVerfG entschied nunmehr, dass eine gerichtliche Ablehnung eines Eilantrags trotz einer anhängigen Tatsachenrevision möglich ist (Beschluss v. 12.12.2024, Az.: 2 BvR 1341/24).
Entscheidung im Eilverfahren trotz anhängiger Tatsachenrevision?
Damit wies das BVerfG die Verfassungsbeschwerde eines afghanischen Staatsbürgers als unzulässig ab, der in Griechenland als international Schutzberechtigter anerkannt wurde. Er reiste nach Deutschland ein und stellte einen Asylantrag, welcher aber abgelehnt wurde. Gegen diese Ablehnung erhob er Klage zum Verwaltungsgericht (VG) und stellte auch einen entsprechenden Eilantrag. Da das zuständige VG allerdings keine ausreichenden Hinweise für eine unmenschliche Behandlung in Griechenland sah, lehnte es seinen Eilantrag ab.
Gegen diese Entscheidung erhob der Afghane Verfassungsbeschwerde. Er rügte dabei vor allem, dass keine Entscheidung in dem Eilverfahren hätte ergehen dürfen, solange das BVerwG noch nicht über die anhängige Tatsachenrevision zu den Bedingungen für international Schutzberechtigte in Griechenland entschieden hatte.
Keine Ausweitung des Suspensiveffekts
Aus welchem Grund ihm in Griechenland eine Verletzung seiner körperlichen Unversehrtheit drohe, hat der Afghane laut BVerfG dabei nicht hinreichend vorgetragen.
Das war aber auch gar nicht Kernpunkt der Entscheidung. Es ging vielmehr um die prozessrechtliche Frage, ob eine anhängige Tatsachenrevision beim BVerwG das VG daran hindert, über einen Eilantrag zu entscheiden. Klare Antwort des BVerfG: Nein.
Eine solche Sperrwirkung gebe es nicht. Dem § 78 Abs. 8 AsylG sei nicht zu entnehmen, dass die ausstehende Tatsachenrevision einen Suspensiveffekt auf etwaige Eilverfahren hat. Eine noch nicht erfolgte Entscheidung einer Tatsachenrevision hindere die Fachgerichte also nicht daran, sich im Eilverfahren mit gleich gelagerten Fällen zu befassen.
Vielmehr besteht für die VG sogar die Pflicht, im Eilverfahren die aktuelle Tatsachengrundlage im Zielland zu prüfen und darüber zu entscheiden, ob ein Antragsteller abgeschoben bzw. überstellt werden darf. Ob ein Eilantrag erfolgreich sei, hänge dabei von der jeweiligen richterlichen Wertung der Tatsachen ab. Die zuständigen Fachgerichte müssten die jeweiligen Fälle intensiv prüfen, um die Gefahr auszuschließen, dass ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes unzumutbare Beeinträchtigungen stattfinden. Entsprechend könne es für eine Entscheidung im Eilverfahren nicht auf noch nicht entschiedene Tatsachenrevisionen beim BVerwG ankommen, so das BVerfG.
eh/LTO-Redaktion
BVerfG zum Asylrecht: . In: Legal Tribune Online, 23.12.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56174 (abgerufen am: 12.02.2025 )
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