Die Auslieferung der non-binären Person Maja T. nach Ungarn war rechtswidrig. Das hat das BVerfG auf ihre Verfassungsbeschwerde hin entschieden. Sie war in einer Nacht-und-Nebel-Aktion über Österreich nach Ungarn überstellt worden.
Maja T. hätte nicht nach Ungarn verbracht werden dürfen. Die Auslieferung der non-binären Person im sogenannten Budapest-Komplex verstößt gegen Art. 4 der Charta der Grundrechte der europäischen Union (GRCh). Das hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden (Beschl. v. 24.01.2025, Az. 2 BvR 1103/24). T. hatte Verfassungsbeschwerde erhoben, nachdem sie als deutsche Staatsbürgerin nach Ungarn überstellt worden war. Ein anderes Rechtsmittel gibt es nicht.
Das Kammergericht (KG) sei seiner Pflicht zur vollständigen Aufklärung des für die Überstellung erheblichen Sachverhalts nicht hinreichend gerecht geworden, so das BVerfG. Insbesondere habe es die Haftumstände, die die beschwerdeführende Person in Ungarn erwarteten, nicht hinreichend aufgeklärt.
In einer Nacht-und-Nebel-Aktion war T. nach einem Beschluss des Kammergerichts (KG) aus der Justizvollzugsanstalt (JVA) Dresden per Hubschrauber nach Österreich und von dort weiter nach Ungarn ausgeliefert worden.
Die damals 23-Jährige soll Teil des Budapest-Komplexes sein: Menschen aus der mutmaßlich linksextremistischen Szene sollen anlässlich des sogenannten Tags der Ehre, an dem sich Neonazis aus ganz Europa in Ungarn treffen, um unter anderem der Waffen-SS zu huldigen, im Februar 2023 mit einer Gruppe nach Ungarn gereist sein. Die soll sich zu Angriffen auf Rechtsextreme verabredet und unter anderem mit Teleskopschlagstöcken auf verschiedene Personen eingeschlagen haben. Ungarn hatte deshalb einen europäischen Haftbefehl erlassen.
Überstellung noch vor BVerfG-Eilentscheidung
Die Auslieferung erfolgte plötzlich und schnell: T. war im Dezember 2023 in Berlin festgenommen worden. Am 27. Juni 2024 erklärte das KG die Auslieferung nach Ungarn für zulässig. Der Beschluss ging ihrem Anwalt, Sven Richwin am selben Tag um 17.16 Uhr zu.
In der folgenden Nacht begann die Überstellung, die Übergabe an die österreichischen Behörden zwecks Durchlieferung nach Ungarn erfolgte um 6.50 Uhr. Um 7.38 Uhr ging der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim BVerfG ein. Das BVerfG untersagte die Auslieferung und wies die GenStA an, eine Übergabe von T. nach Ungarn zu verhindern und die "Rückführung in die Bundesrepublik Deutschland zu erwirken". Dazu kam es nicht.
T. ist seitdem in Ungarn inhaftiert, die erste gerichtlichen Anhörung wird am 21. Februar 2025 sein. Zu den Haftbedingungen von T. teilte Richwin gegenüber LTO mit, Maja befinde sich seit Monaten in anhaltender Isolationshaft bei dauerhafter Kameraüberwachung. Die Gefängnisverwaltung habe zwar den Auftrag, die non-binäre Identität von Maja zu berücksichtigen, so T.s Anwalt, sie sei auf solche Situationen aber gar nicht vorbereitet, wie ein ungarischer Botschafter durchblicken ließ.
KG hätte mehr zu ungarischen Haftbedingungen recherchieren müssen
Die Überstellung nach Ungarn stelle einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff dar, so das BVerfG nun in seiner Entscheidung vom Donnerstag, T. sei in ihrem Recht auf Art. 4 der GRCh, dem Verbot vor Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung, verletzt.
Das KG habe seinen Aufklärungspflichten nicht genügt. Es habe in Bezug auf die Haftumstände in Ungarn hinreichende Anhaltspunkte für systemische oder allgemeine Mängel gehabt, so das BVerfG weiter. Das KG aber habe sich mit Ausführungen der ungarischen Behörden zur allgemeinen Rechtslage zufriedengegeben. Laut BVerfG lagen jedoch widersprechende, jüngere eidesstattliche Stellungnahme ehemaliger Inhaftierter und auch einer Menschenrechtsorganisation vor, die das KG nicht berücksichtigt habe. Es hätte sich geradezu "aufgedrängt", so das BVerfG, sich mit den Haftbedingungen in der zwischenzeitlich konkret benannten Haftanstalt zu befassen.
"Erklärungen des um die Überstellung ersuchenden Staates entbinden nicht von der Pflicht, zunächst eine eigene Gefahrenprognose angesichts der aktuellen Lage anzustellen, um die Situation einschätzen zu können und so die Voraussetzungen für eine Prüfung der Belastbarkeit einer abgegebenen Zusicherung zu schaffen", entschieden die Karlsruher Richter:innen. Ein blindes Verlassen auf einen anderen Staat reicht laut dem BVerfG auch innerhalb der EU damit nicht immer aus.
Ebenso habe sich das KG nicht auch auf die von den Ungarn ausgesprochene Garantieübernahme für T. verlassen dürfen, wonach auf ihr besonderes Risiko als non-binäre Person in einem ungarischen Gefängnis Rücksicht genommen werde. Die Ungarn hatten angegeben, dass die Zahlen von körperlichen Übergriffen auf queere Menschen nicht erhoben würden, ein Register über die Geschlechtsidentität der Gefangenen werde nicht geführt. "Wenn aber Angriffe aus Gründen der Geschlechtsidentität der Angegriffenen nicht als solche registriert werden beziehungsweise worden sind, erschließt sich nicht, wie gezielt gegen Diskriminierungen im Zusammenhang mit der Geschlechtsidentität vorgegangen werden kann", so das BVerfG.
Anwalt: “Juristischer Erfolg, der Maja nicht aus der Isolationshaft holen wird”
"Juristisch ist das natürlich ein großer Erfolg”, teilt T.s Anwalt Richwin auf LTO-Anfrage mit, “auch wenn die Entscheidung tragischerweise Maja nicht ohne Weiteres aus der Isolationszelle führen wird. Wir hoffen, dass die ungarischen Behörden jetzt so viel Anstand besitzen, zumindest eine Hafterleichterung durch einen Hausarrest für Maja zu gewähren." Mögliche Folgenbeseitigungsansprüche werde er prüfen.
Laut Richwin hat der Beschluss eine starke Signalwirkung auf die Parallelverfahren von weiteren Beschuldigten im Budapest-Komplex, die aktuell von Auslieferung nach Ungarn bedroht sind. Behörden und Gerichte dürften sich auf möglichen Zusicherungen aus Ungarn nicht mehr einfach verlassen.
Als Folge des Beschlusses müsse zudem die Reform des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) wieder aufgenommen werden, um Fälle wie die von Maja T. zu verhindern. Insbesondere braucht es laut Richwin ein reguläres Rechtsmittel im Auslieferungsverfahren und längere Fristen.
Juristen fordern reguläres Rechtsmittel
Die Vorgänge um die Auslieferung hatten unter Juristen eine Diskussion um den Rechtsschutz gegen Auslieferungen entfacht, bisher gibt es eben keinen außer der Verfassungsbeschwerde. Reformansätze gibt es derzeit auch nicht. Der Fall Maja T. war auch Thema im Abgeordnetenhaus in Berlin, die zuständige Ministerin hielt entgegen der Ansicht vieler Juristen die Abläufe für "beanstandungsfrei". Diese Aussage dürfte jetzt nicht mehr so stehen bleiben können.
"Das Bundesverfassungsgericht hat heute eine wichtige Entscheidung zum Schutz der Freiheitsrechte besonders vulnerabler Inhaftierter getroffen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung in typischer Weise einer Diskriminierungsgefahr in Justizvollzugsanstalten ausgesetzt sind", teilt Professor Mark Zöller, Geschäftsführer des Instituts für Digitalisierung und das Recht der Inneren Sicherheit an der LMU in München mit. "Man spürt dieser Entscheidung auch die berechtigte Unzufriedenheit mit dem Vorgehen der Berliner Justiz an." Das BVerfG mache deutlich, dass man sich auf pauschale Zusicherungen zu den Haftbedingungen des die Auslieferung beantragenden Staates nicht verlassen kann und darf. “Die deutschen Gerichte müssen sich richtigerweise mit den tatsächlichen und konkreten Haftbedingungen in der vorgesehenen Haftanstalt auseinandersetzen. Und ganz nebenbei wird auch dem EU-Mitgliedstaat Ungarn aus rechtsstaatlicher Sicht erneut ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. Gerade bei Abschiebungen nach Ungarn wird man zukünftig genauer hinsehen müssen”, so Zöller.
“Insgesamt ist im Fall von Maja T. ein Totalversagen der Justiz festzustellen, das beschämend ist für einen Rechtsstaat”, sagt Nikolaos Gazeas von der Kölner Kanzlei Gazeas Nepomuck auf LTO-Anfrage. “Die Entscheidung aus Karlsruhe ist zum einen eine Ohrfeige für das Kammergericht, das wesentliche Umstände, die sich aufgedrängt haben, nicht aufgeklärt hat.” Der Fall und sein justizieller Ausgang zeigten einmal mehr, wie essenziell es im Auslieferungsrecht sei, eine - jedenfalls einstweilige - Entscheidung des BVerfG im Eilverfahren immer abzuwarten, bevor eine Auslieferung vollzogen wird. "Man verliert dadurch nichts”, sagt Gazeas.
Der Gesetzgeber sei jetzt aufgerufen, keine “Feigenblatt-Lösungen” zu suchen, sondern im Rahmen einer IRG-Reform durch eine echte Rechtsmittelinstanz eine geordnete Überprüfung obergerichtlicher Entscheidungen sicherzustellen.
OLG Jena hält Auslieferung im Budapest-Komplex für unzulässig
Die mutmaßlichen Täter:innen aus der Gruppe werden von den Behörden wie Maja T. als linksextremistisch bis linksmilitant eingeordnet. Die Gruppe soll sich um die inzwischen verurteilte Lina E. in Jena gegründet haben. Nachdem sie etwa zwei Jahre untergetaucht waren, hatten sich kürzlich einige der Polizei gestellt, für viele von ihnen liegen europäische Haftbefehle aus Ungarn vor.
Das Oberlandesgericht (OLG) Jena hatte jüngst ein Auslieferungsersuchen in Bezug auf den Mann, der als Freund von Lina E. gilt, Johann G., auf Antrag der Thüringer Generalstaatsanwaltschaft als unzulässig abgelehnt (Beschl. v. 29.01.2025, Az. 3 OAus 4/25). Der Beschluss liegt LTO vor. Auch G. soll in Budapest dabei gewesen sein. Das OLG sah in diesem Fall durch den Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung in Deutschland einen maßgeblichen Bezug zum Inland. In dem Fall sei eine Auslieferung nach § 80 Abs. 2 Nr. 2 IRG nicht zulässig. Das Gericht stellte zugunsten des Mannes darauf ab, dass die möglichen Taten in Ungarn Beteiligungshandlungen an einer spätestens Anfang 2018 in Deutschland gebildeten kriminellen Vereinigung sind. Die Pläne für die Reise sollen in Deutschland gemacht und auch von hier aus die Tatwaffen organisiert worden sein.
Auch gegen eine weitere Person wird in Deutschland das Verfahren geführt: Im Februar wird am Staatsschutzsenat am OLG in München der Prozess gegen Hanna S. beginnen, auch sie soll in Budapest dabei gewesen sein.
Die Auslieferung droht damit aktuell vor allem einem Syrer, der ebenfalls zur deutschen Gruppe im Budapest-Komplex gehören soll. Gegen ihn hat die Bundesanwaltschaft keinen eigenen Haftbefehl erlassen. Es gibt nur den aus Ungarn.
T. könnte nach einer Verurteilung in Ungarn zurück nach Deutschland gebracht werden. Das ungarische Justizministerium hatte zugesichert, dass T. auf ein entsprechendes Ersuchen hin für die Verbüßung einer Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehenden Maßregel nach Deutschland rücküberstellt werden würde.
BVerfG zu Maja T. und dem Budapest-Komplex: . In: Legal Tribune Online, 06.02.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56531 (abgerufen am: 17.03.2025 )
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