BVerfG rügt OLG für Haftfortdauer in Strafprozess: Vage Gründe können Ver­län­ge­rung der U-Haft nicht recht­fer­tigen

07.02.2025

Zwei Männer sitzen seit 2023 in U-Haft, ihr Prozess zieht sich. Gewichtige Gründe für die Verlängerung der U-Haft wurden aber nicht vorgetragen, bemängelt das BVerfG und gab den Verfassungsbeschwerden der Angeklagten statt. 

Eine bloß vage Begründung kann die Fortdauer der Untersuchungshaft nicht rechtfertigen. Werden keine tragfähigen Gründe vorgetragen, die die Verzögerung des Strafverfahrens erklären, verletzt das die betroffenen Angeklagten in ihren Grundrechten. Das hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden und den Verfassungsbeschwerden zweier Angeklagter stattgegeben (Beschl. v. 05.02.2025, Az. 2 BvR 24/25 u. 2 BvR 69/25).

Die Beschwerdeführer sitzen seit Juli 2023 in Untersuchungshaft. Ihnen wird versuchter Mord in zehn tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit schwerer Brandstiftung vorgeworfen. Demnach sollen die beiden Männer und ein weiterer Mitangeklagter in Chemnitz mehrere Brandsätze gegen ein Reihenhaus geworfen haben, um einen dort wohnhaften Mann zu töten. Mindestens einer der Brandsätze entzündete und es breitete sich ein Feuer aus.

Die Hauptverhandlung gegen die Männer begann sodann im Mai 2024, insgesamt 21 Termine bis in den Dezember hinein waren geplant. Eine zu geringe Terminsdichte, wie die Verteidiger der Angeklagten befanden. Außerdem sei an den bislang stattgefundenen Terminen noch dazu zu kurz verhandelt worden. Nur einmal habe die Sitzung länger als fünf Stunden, an drei Tagen sogar nur weniger als eine Stunde gedauert. Sie beantragten daher die Aufhebung des Haftbefehls und rügten einen Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz.

OLG Dresden: Es kommt auf mehr als die Statistik an

Das Landgericht (LG) Chemnitz erhielt den Haftbefehl jedoch aufrecht und ordnete die Fortdauer der Untersuchungshaft an. Zu vermeidbaren Verfahrensverzögerungen, die den Strafverfolgungsorgangen anzulasten wären, sei es nicht gekommen. Vielmehr sei die Dauer des Verfahrens auf dessen Komplexität zurückzuführen. Außerdem hätten sich im Laufe der Verhandlungen neue Entwicklungen ergeben, die Nachermittlungen erforderlich gemacht haben.

Auch die Beschwerden der Angeklagten gegen die Entscheidung des LG Chemnitz halfen nicht: Das Oberlandesgericht (OLG) Dresden war ebenfalls der Ansicht, dass ein Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz nicht vorliege. Ob dieser verletzt sei, richte sich schließlich nicht nur nach der "mathematischen Auswertung der entsprechenden Statistik" – also danach, wie oft, regelmäßig und lange das Gericht tatsächlich verhandelt hat.

Daran gemessen entsprechen die Verhandlungsdichte und -intensität des LG Chemnitz nämlich nicht den Vorgaben, die grundsätzlich zu beachten seien, gibt das OLG zu. Im Schnitt fanden nur 0,66 Verhandlungstage pro Woche statt. Nach dem Beschleunigungsgebot im Strafverfahren muss bei umfangreichen Prozessen aber durchschnittlich mehr als ein Hauptverhandlungstag pro Woche terminiert werden.

Allerdings seien auch die Gründe für die konkrete Verfahrensausgestaltung in den Blick zu nehmen. Demnach seien die geringe Terminierung und die kurzen Verhandlungstage auf andere Faktoren zurückzuführen: Das ursprüngliche Beweisprogramm sei bereits weitgehend abgearbeitet gewesen, die Verteidigung habe Vorbereitungszeit insbesondere für die nach dem Ergebnis der Nachermittlungen erforderlichen Vernehmungen von Zeugen benötigt. Auch sei die Festlegung weiterer Verhandlungstage dadurch erschwert gewesen, dass bei allen Verfahrensbeteiligten einschließlich der Schöffen terminliche Verhinderungen bestanden hätten.

BVerfG: "Vager Hinweis genügt nicht"

Diese Begründung ist dem BVerfG jedoch zu lasch. Besondere Umstände, die die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft verfassungsrechtlich hinnehmbar erscheinen lassen, zeige der Beschluss des OLG nicht auf. Nach § 121 Abs. 1 Strafprozessordnung darf die Untersuchungshaft aber nur dann länger als sechs Monate andauern, wenn wichtige Gründe die Fortdauer der Haft rechtfertigen. Der Beschluss verletze die Angeklagten daher in ihrem Grundrecht auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 S. 2 Grundgesetz (GG) i.V.m. mit Art. 104 GG).

So lasse sich dem Beschluss schon nicht entnehmen, wieso ein Verstoß gegen das Beschleunigungsverbot nicht vorliegen soll, obwohl das OLG doch selbst ausführe, dass die vorzunehmenden Beweiserhebungen im Wesentlichen durchgeführt wurden. "Der vage Hinweis auf die von der Verteidigung benötigte Vorbereitungszeit genügt hier nicht", so das BVerfG. 

Auch hinsichtlich der vorgebrachten terminlichen Verhinderungen sei die Prüfung durch das OLG zu dünn. Es habe sich insbesondere nicht mit der Frage befasst, ob die dadurch entstandenen Unterbrechungen von mehr als einem Monat durch zwingende und nicht der Justiz anzulastende Gründe veranlasst waren. Das gelte auch für Terminschwierigkeiten der Verteidiger. Der Terminkalender der Verteidigung kann laut BVerfG nämlich nur insoweit berücksichtigt werden, wie dies nicht zu einer erheblichen Verzögerung des Verfahrens führt. 

Darüber hinaus habe das OLG auch die weitere Planung des LG Chemnitz nicht hinreichend unter die Lupe genommen, obwohl ihm die Terminierung für die zukünftigen Monate bekannt war – und diese ebenfalls nicht dem verfassungsrechtlich geforderten Mindestmaß von im Durchschnitt mehr als einem Hauptverhandlungstag pro Woche entspreche. 

Jedenfalls die unterbliebenen Bemühungen um eine Kompensation der eingetretenen Verfahrensverzögerung verletzen das Beschleunigungsgebot, so das BVerfG. Die Karlsruher Richter haben den Beschluss daher aufgehoben und an das OLG Dresden zurückverwiesen, das nun erneut über die Haftfortdauer entscheiden muss. Die Anträge der Angeklagten, den Haftbefehl bis zu einer neuen Entscheidung des OLG außer Vollzug zu setzen, hat das BVerfG dagegen wegen der Vorwegnahme der Hauptsache als unzulässig abgewiesen.

lmb/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

BVerfG rügt OLG für Haftfortdauer in Strafprozess: . In: Legal Tribune Online, 07.02.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56544 (abgerufen am: 18.03.2025 )

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