Die Kernbrennstoffsteuer ist nichtig, verkündet das BVerfG. Einig ist der Senat sich über die Entscheidung, die die Finanzverfassung neu interpretiert, nicht. Über das Ergebnis schon: Rückzahlungsforderungen in Milliardenhöhe gegen den Bund.
Kurz vor dem Ende der Legislaturperiode muss die Bundesregierung eine herbe Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hinnehmen: Die 2011 eingeführte Kernbrennstoffsteuer ist nicht von der Gesetzgebungskompetenz des Bundes umfasst und damit nichtig, entschieden die Karlsruher Richter in einem am Mittwoch veröffentlichten Beschluss (v. 13.04.2017, Az. 2 BvL 6/13). Nun kommen wohl hohe Rückzahlungsforderungen auf den Bund zu.
Die Kernbrennstoffsteuer war zum 1. Januar 2011 noch vor dem Beschluss des Atomausstiegs eingeführt worden. Damit wurde Kernbrennstoff, der zur gewerblichen Erzeugung von elektrischem Strom verwendet wurde, besteuert. Die Unternehmen mussten die Steuer selbst anmelden und berechnen. Die Höhe betrug gemäß § 3 Kernbrennstoffsteuergesetz (KernbrStG) 145 Euro pro Gramm auf alle Brennelemente, welche nach Einführung des Gesetzes erstmals zum Einsatz kamen.
Die Steuer lief zum Ende des vergangenen Jahres aus und wurde für die Kraftwerke, welche noch bis 2022 laufen, nicht verlängert. In den sechs Jahren ihrer Geltung brachte die Steuer dem Bund insgesamt 6,285 Milliarden Euro ein. Nach ihrer Einführung klagten mehrere Energieunternehmen dagegen, scheiterten damit aber unter anderem vor dem Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg, welches die Steuer für mit dem Grundgesetz vereinbar erklärte. Auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) hielt die Steuer für unionsrechtlich wirksam.
BVerfG: Bund darf nur ihm zugewiesene Steuern einführen
Das FG Hamburg hingegen gab dem Energiekonzern Eon bereits im Jahr 2011 Recht und setzte die Vollziehung seiner Steueranmeldung vorläufig aus. Dies hatte vor dem Bundesfinanzhof (BFH) aber keinen Bestand. Aufgrund seiner Zweifel legte das Hamburger Gericht die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Kernbrennstoffsteuer schließlich dem BVerfG vor.
Angriffspunkt war stets die Frage, ob es sich bei dabei um eine Verbrauchsteuer im Sinne des Art. 106 Abs. 1 Nr. 2 Grundgesetz (GG) handelt, über die der Bund in Verbindung mit Art. 105 Abs. 2 GG die Gesetzgebungskompetenz hat. Anderenfalls, so die Kritiker der Steuer, stünde es dem Bund gar nicht zu, die Steuer zu erheben.
Dies hat nun auch der Zweite Senat des BVerfG in seinem Beschluss angenommen. Nach Auffassung der Mehrheit der Richter ist die Gesetzgebungskompetenz des Bundes hinsichtlich der Steuern auf die ihm im Grundgesetz ausdrücklich zugewiesenen Steuertypen beschränkt. Unter den hier einzig in Betracht kommenden Begriff der Verbrauchsteuer, als welche der Gesetzgeber die Kernbrennstoffsteuer deklarierte, falle diese aber nicht. Es ist eine Entscheidung, mit der so kaum jemand gerechnet hatte. Und die den Bund teuer zu stehen kommt.
Verfassungsrechtler: "Deutliche Einschränkung des Gesetzgebers"
Dabei gingen die Karlsruher Richter von dem Grundgedanken aus, dass das Zusammenspiel der Art. 105 und 106 GG nicht nur der Aufteilung der Steuergelder, sondern zugleich auch dem Schutz des Steuerzahlers dienen soll. Über ihre Ordnungsfunktion hinaus entfalte die Finanzverfassung "eine Schutz- und Begrenzungsfunktion, die es dem einfachen Gesetzgeber untersagt, die ihm gesetzten Grenzen zu überschreiten", so der Senat. Eine "Steuererfindung" jenseits der gesetzlich normierten Typen sei damit nicht möglich.
Für Prof. Dr. Joachim Wieland von der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer kam diese Annahme überraschend, wie er im Gespräch mit LTO erklärte: "Das ist eine deutliche Einschränkung der Rechte des Steuergesetzgebers gegenüber denen der Unternehmen, die ich so nicht erwartet hatte".
Es gebe in der bisherigen Rechtsprechung keine entsprechenden Meinungen, so Wieland. In der Literatur sei die Frage indes hoch umstritten. Das BVerfG habe nun eine in der Rechtsprechung bisher einmalige Änderung der Schutzrichtung vorgenommen: "Die Finanzverfassung diente nach bisheriger Auffassung der Aufteilung des Steueraufkommens. Jetzt interpretiert das BVerfG sie so, dass sie darauf zielt, den Steuerpflichtigen zu schützen."
BVerfG: Verbrauch ist nur Endverbrauch
Für eine Gesetzgebungskompetenz hätte einer der gesetzlich genannten Einzelsteuerbegriffe erfüllt sein müssen. Nach Auffassung des Senats liegen die typusprägenden Merkmale einer Verbrauchsteuer aber nicht vor. Das Gericht hob dabei auf die Abgrenzung der Verbrauchsteuer von Unternehmensteuern ab: "Die Trennlinie ist bei der Anknüpfung an den Gewinn der Unternehmer einerseits und der Anknüpfung an die Einkommensverwendung der Endverbraucher andererseits zu ziehen".
Weil aber aus marktwirtschafttlichen Gründen keine Abwälzung der Belastung der Unternehmer auf den Endkunden möglich sei, wie der Gesetzgeber selbst eingeräumt hatte, könne es sich nicht um eine Verbrauchsteuer handeln. Dies gelte umso mehr, als hier nicht das unmittelbare Verbrauchsgut, sondern vielmehr das Produktionsmittel besteuert werde.
Warum aber hat man bei der Einführung der Steuer diese Probleme nicht kommen sehen? "Der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, dass Verbrauchsgut ist, was verbraucht wird" erklärte Wieland die Fehleinschätzung des Bundes. "Das Gericht geht aber davon aus, dass es sich um einen Verbrauch durch den Endverbraucher handeln muss." Dies habe der Gesetzgeber aufgrund der bis dato existierenden Rechtsprechung nicht vorhersehen können, meint Wieland.
Nichtigkeitserklärung sorgt für hohe Rückforderungen
Umso härter sei nun auch die Entscheidung des Gerichts, die Steuer rückwirkend für nichtig zu erklären, weil der Gesetzgeber nicht auf die Einnahmen habe vertrauen dürfen. "Das ist in der Tat überraschend". Wenngleich dies dogmatisch durchaus zu begründen sei, handelt es sich dabei laut Wieland um eine klare Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung. "In haushaltsrelevanten Entscheidungen ist das Gericht bisher nicht zu einer Rückwirkung gekommen".
Ohne Grundlage für die Erhebung der Steuer kommen nun wohl Rückzahlungen in Milliardenhöhe auf den Bund zu. So geht beispielsweise Eon von einem Rückzahlungsanspruch in Höhe von 3,3 Milliarden Euro inklusive Zinsen aus, Konkurrent RWE beziffert die seit 2011 vom Unternehmen gezahlte Kernbrennstoffsteuer auf 1,7 Milliarden Euro.
Die Sondervoten der Richter Peter Huber und Peter Müller kommen zwar zum gleichen Ergebnis wie die Senatsmehrheit, cverfolgen aber einen anderen Lösungsweg verfolgen und interpretieren dabei die Finanzverfassung deutlich flexibler. So schließen sie sich zunächst der bisherigen Auffassung an, wonach die Art. 104 a ff GG nur die Aufteilung der Steuern zwischen Bund und Ländern regelten. Unter dem Begriff der "übrigen Steuern" des Art. 105 Abs. 2 GG stehe dem Bund weiterhin ein breiter Spielraum zur Steuerfindung zu.
Nutze er diesen, verlange Abs. 3 über den Wortlaut hinaus aber eine Zustimmung des Bundesrates, da durch eine neue Steuer in den Spielraum der Länder zur Schöpfung von Steuerquellen eingegriffen werde. Diese sei hier nicht eingeholt worden, womit die Steuer formell verfassungswidrig und nichtig sei. Eine Lösung, die Prof. Dr. Wieland sympathisch ist: "Das ist aus meiner Sicht die überzeugendere Begründung. Danach ist der Spielraum zur Steuerfindung deutlich größer".
Mit Materialien von dpa
Maximilian Amos, BVerfG kippt Kernbrennstoffsteuer: Der Bund darf keine Steuern erfinden . In: Legal Tribune Online, 07.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23122/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
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