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BVerfG sieht Verstoß gegen Lebenszeitprinzip: NRW durfte Kölner Poli­zei­prä­si­denten nicht ver­früht in den Ruhe­stand schi­cken

von Charlotte Hoppen

16.05.2024

Wolfgang Albers

Die Einstufung von Polizeipräsidenten als politische Beamte im nordrhein-westfälischen Beamtengesetz ist verfassungswidrig. Im Ausgangsverfahren geklagt hatte Wolfgang Albers, damals Kölner Polizeipräsident. Foto: picture alliance / dpa | Henning Kaiser.

NRW-Polizeipräsidenten sind keine sogenannten politischen Beamten, entschied das BVerfG. Erfolg hat damit Wolfgang Albers, der als solcher nach den Übergriffen der Kölner Silvesternacht in den vorzeitigen Ruhestand versetzt worden war.

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Mit am Donnerstag veröffentlichtem Beschluss hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) entschieden, dass § 37 Abs. 1 Nr. 5 des Beamtengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (LBG NRW) mit Art. 33 Abs. 5 des Grundgesetzes (GG) unvereinbar und nichtig ist (Beschl. v. 09.04.2024, Az. 2 BvL 2 /22). Die Vorschrift stuft die Polizeipräsidenten in Nordrhein-Westfalen als sogenannte politische Beamte ein und ermöglicht damit – ungeachtet ihres Status als Beamte auf Lebenszeit – ihre jederzeitige Versetzung in den einstweiligen Ruhestand.

Der Kläger des Ausgangsverfahrens, Wolfgang Albers, war seit 2011 Polizeipräsident von Köln. Nach den Ereignissen in der "Kölner Silvesternacht" 2015/2016, als es im Bereich des Kölner Doms und des Bahnhofsvorplatzes unter anderem zu zahlreichen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung kam, wurde er im Januar 2016 von seinen Aufgaben als Polizeipräsident entbunden und in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Hiergegen wandte er sich an das Verwaltungsgericht (VG) Köln, das seine Klage abwies. In der Berufungsinstanz hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) des Landes Nordrhein-Westfalen das Verfahren ausgesetzt und dem BVerfG die Frage vorgelegt, ob § 37 Abs. 1 Nr. 5 LBG NRW mit Art. 33 Abs. 5 GG vereinbar ist.

Und das BVerfG entschied nun: § 37 Abs. 1 Nr. 5 LBG NRW ist verfassungswidrig, weil die Regelung gegen Art. 33 Abs. 5 GG verstößt.

Politische Beamte dürfen grundsätzlich in den Ruhestand geschickt werden

Nach Art. 33 Abs. 5 GG ist das Recht des öffentlichen Dienstes unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln. Mit den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums ist der Kernbestand von Strukturprinzipien gemeint, die während eines längeren, traditionsbildenden Zeitraums als verbindlich anerkannt und gewahrt worden sind.

Zu dem Kernbestand von Strukturprinzipien gehört unter anderem das Lebenszeitprinzip. Es hat – im Zusammenwirken mit dem die amtsangemessene Besoldung und Versorgung sichernden Alimentationsprinzip – die Funktion, die Unabhängigkeit der Beamten im Interesse einer rechtsstaatlichen Verwaltung zu gewährleisten.

Die Möglichkeit, politische Beamte jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzen zu können, sei als Durchbrechung des Lebenszeitprinzips (Art. 33 Abs. 5 GG) grundsätzlich verfassungsrechtlich anerkannt, so das BVerfG nun. Es müsse jedoch auf eng begrenzte Ausnahmefälle beschränkt bleiben.

Eine solche Ausnahme vom Beamtenverhältnis auf Lebenszeit ist nur unter drei Voraussetzungen zulässig, so das BVerfG. Erstens: Besondere Sachgesetzlichkeiten der betroffenen Stellung und die Art der wahrgenommenen Aufgaben müssen eine Ausnahme nahelegen. Zweitens: Die Ausnahmeregelung muss geeignet und erforderlich sein, um diesen besonderen Sachgesetzlichkeiten Rechnung zu tragen. Und drittens: Dies darf nicht generalisierend beantwortet werden, sondern bedarf einer konkreten, alle erheblichen Gesichtspunkte einbeziehenden Bewertung der jeweiligen Regelungsstruktur im Einzelfall.

Bei politischen Beamten sei die Ausnahme vom Lebenszeitprinzip grundsätzlich deshalb sachlich gerechtfertigt, weil diese nach der Art ihrer Aufgaben in besonderer Weise des politischen Vertrauens der Staatsführung bedürfen und in fortwährender Übereinstimmung mit den grundsätzlichen politischen Ansichten und Zielen der Regierung stehen müssen. Wann die Einstufung eines Amtes als "politisch" in diesem Sinne anzunehmen ist, hängt von Faktoren ab, die "in jedem Einzelfall im Rahmen einer Gesamtbetrachtung Anhaltspunkte dafür bieten müssen, dass eine fortdauernde Übereinstimmung des Amtsträgers mit den politischen Zielen der Regierung für die wirksame Aufgabenerfüllung unerlässlich ist", so das BVerfG.

Im Fall des Polizeipräsidenten ein Verstoß gegen das Lebenszeitprinzip

Ein solcher eng umgrenzter Ausnahmefall sei beim Polizeipräsidenten nicht gegeben, meint das BVerfG. Die Möglichkeit, ihn jederzeit in den Ruhestand zu schicken, greife in das Lebenszeitprinzip "in der Ausprägung der grundsätzlichen Unentziehbarkeit des statusrechtlichen Amtes" ein. Dieser Eingriff sei nicht durch besondere Sacherfordernisse des betroffenen Amtes gerechtfertigt.

Um zu entscheiden, ob bei Polizeipräsidenten eine Ausnahme vom Lebenszeitprinzip des Art. 33 Abs. 5 GG gemacht werden darf, untersuchten die Karlsruher Richter in ihrer Entscheidung ausführlich das Aufgabenspektrum, die Entscheidungsspielräume und die organisatorische Stellung von Polizeipräsidenten. Dabei kamen sie zu dem Ergebnis: Die Ausübung dieses Amtes bedürfe nicht in besonderer Weise des politischen Vertrauens der Landesregierung und müsse nicht in fortwährender Übereinstimmung mit ihren grundsätzlichen politischen Ansichten und Zielen stehen.

Weder der den Polizeipräsidenten in NRW zugewiesene Aufgabenbereich oder der ihnen zugemessene Entscheidungsspielraum noch ihre organisatorische Stellung oder andere Gesichtspunkte weisen das Amt des Polizeipräsidenten als ein "politisches" aus, so das Gericht.

Polizeipräsidenten ohne politischen Gestaltungsspielraum

Bereits das Aufgabenspektrum eines Polizeipräsidenten sowie die konkrete Art der Aufgabenwahrnehmung sprächen gegen ein derartiges Übereinstimmungserfordernis. 

Den Kreispolizeibehörden seien im Wesentlichen drei Aufgaben zugewiesen: die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die Erforschung und Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten sowie die Überwachung des Straßenverkehrs. Diese Aufgaben seien, soweit Entscheidungsspielräume bestehen, nach pflichtgemäßem Ermessen zu erfüllen. Ein darüber hinausgehender politischer Gestaltungsspielraum sei den Kreispolizeibehörden nicht eingeräumt.

Gegen eine Durchbrechung des Lebenszeitprinzips sprächen außerdem die normativ gesteuerten Kommunikationspflichten zwischen den Polizeibehörden in NRW. Nach zwei Runderlassen des Ministeriums des Innern seien "wichtige Ereignisse" innerhalb des Landes durch die Polizeibehörde zu melden, um dem für Inneres zuständigen Ministerium zeitgerechte politische, strategische, aufsichtliche sowie taktische Bewertungen und Entscheidungen zu ermöglichen. Diese Kommunikationsstruktur spreche nachdrücklich gegen eine Einstufung der Polizeipräsidenten als politische Beamte. Denn ihr vorrangiges Ziel liege gerade nicht in der Sicherstellung einer intensiven Beratung der übergeordneten Behörden oder des zuständigen Ministeriums zur Berücksichtigung etwaiger politischer Schwerpunktsetzungen, sondern in einer Verlagerung der Entscheidungszuständigkeit auf eine höhere Ebene.

Polizeipräsidenten mit Landräten vergleichbar

Auch die organisatorische Stellung eines Polizeipräsidenten in NRW lasse es fernliegend erscheinen, dass die Ausübung des Amts der fortdauernden Übereinstimmung mit den grundsätzlichen politischen Ansichten und Zielen der Regierung bedarf. Hiergegen spreche nämlich insbesondere der Umstand, dass die Landräte als Leiter einer Kreispolizeibehörde den Polizeipräsidenten im Wesentlichen gleichgestellt sind: In den kreisfreien Städten sind Polizeipräsidenten für die Kriminalitätsbekämpfung, Gefahrenabwehr und die Verkehrspolizei zuständig, während diese Aufgabe in den Kreisen von den gewählten Landräten übernommen werden. Bei Landräten sei aber im Hinblick auf ihre Eigenschaft als Wahlbeamte gerade nicht gewährleistet, dass eine fortdauernde Übereinstimmung mit den grundsätzlichen politischen Ansichten und Zielen der Regierung besteht. 

Ein Indiz für eine gerechtfertigte Zuordnung der nordrhein-westfälischen Polizeipräsidenten zum Kreis der politischen Beamten ergebe sich abschließend auch nicht aus einer etwaigen Beratungsfunktion gegenüber der Landesregierung. Eine Zugehörigkeit der Polizeipräsidenten zum engsten Beraterkreis der Landesregierung sei nicht erkennbar.

Absetzung von politischen Beamten nicht grundsätzlich verfassungswidrig

Das BVerfG hat in seiner Entscheidung damit nicht generell die Möglichkeit der jederzeitigen Versetzung von politischen Beamten in den Ruhestand für verfassungswidrig erklärt, sondern sich nur zu § 37 Abs. 1 Nr. 5 LBG NRW – also zu Polizeipräsidenten – geäußert. Vielmehr hat es klargestellt, dass die Möglichkeit, politische Beamte jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzen zu können, als Durchbrechung des Lebenszeitprinzips (Art. 33 Abs. 5 GG) grundsätzlich verfassungsrechtlich anerkannt ist.

Der Senat war jedoch nach umfassender Prüfung der Ansicht, Polizeipräsidenten fallen nicht unter den Begriff der politischen Beamten. Deshalb sei es speziell bei diesen nicht gerechtfertigt, dass sie jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden dürfen.

§ 37 Abs. 1 LBG NRW ordnet in den Nummern 1 bis 4 darüber hinaus den Chef der Staatskanzlei und Staatssekretäre, Regierungspräsidenten, den Leiter der für den Verfassungsschutz zuständigen Abteilung und den Regierungssprecher als politische Beamte ein, mit der Folge, dass auch sie jederzeit in den Ruhestand versetzt werden können.

Ob die Einordnung dieser Berufsgruppen als politische Beamte verfassungsgemäß ist, hat das BVerfG in seiner Entscheidung nicht beantwortet. Hier dürften aber auch die vom BVerfG aufgestellten Erfordernisse für eine Ausnahme vom Lebenszeitprinzip gelten: Besondere Sachgesetzlichkeiten der betroffenen Stellung und die Art der wahrgenommenen Aufgaben müssen eine Ausnahme nahelegen. Für die jeweilige Berufsgruppe ist also zu fragen: Ist eine fortdauernde Übereinstimmung des Amtsträgers mit den politischen Zielen der Regierung für die wirksame Aufgabenerfüllung unerlässlich? Dies darf in den Worten des BVerfG "nicht generalisierend beantwortet werden, sondern bedarf einer konkreten, alle erheblichen Gesichtspunkte einbeziehenden Bewertung der jeweiligen Regelungsstruktur im Einzelfall".

Den Austausch politischer Beamter als Option für eine autoritär populistische Regierung hatte LTO bereits frühzeitig untersucht. Auch Maximilian Steinbeis, Gründer des Verfassungsblogs und Initiator des Thüringen-Projekts, meint zu zu der Entscheidung des BVerfG: "Das Problem, dass Polizeipräsidenten ohne Angabe von Gründen ausgetauscht werden können, gibt es auch in anderen Bundesländern – zum Beispiel in Thüringen. Im Landesbeamtenrecht muss sichergestellt werden, dass eine Regierung die Spitze der Landespolizei nicht für ihre politischen Zwecke instrumentalisieren kann. [...] Im Rahmen des Thüringen-Projekts haben wir daher bereits im vergangenen Monat der Thüringer Landesregierung empfohlen, auch das dortige Landesrecht abzuändern, um zu verhindern, dass der Austausch sogenannter politischer Beamten zu einem Instrument autoritärer Populisten werden könnte."*

Das Verfahren von Albers wird nun am OVG NRW fortgeführt. Nach dem BVerfG-Beschluss dürften die dortigen Richter seiner Klage stattgeben.

*Ergänzt am 16.05.2024, 16:18 Uhr

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BVerfG sieht Verstoß gegen Lebenszeitprinzip: . In: Legal Tribune Online, 16.05.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54557 (abgerufen am: 14.11.2025 )

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