Weitere Eilanträge abgelehnt: Karls­ruhe gibt end­gültig grünes Licht für Son­der­sit­zung

von Hasso Suliak und Dr. Max Kolter

17.03.2025

Eine Sondersitzung braucht der Bundestag noch, um über die von Union, SPD und Grünen vereinbarten Grundgesetz-Änderungen zu beschließen. Hierfür gab das BVerfG nun endgültig grünes Licht. Der Zweite Senat lehnte sechs weitere Eilanträge ab.

Die Sondersitzung zu den Grundgesetz-Änderungen kann am Dienstag stattfinden. Einzelne Abgeordnete der Linken, des BSW, der FDP und der AfD sowie die AfD-Fraktion sind mit ihrem Versuch gescheitert, die Lesungen des Gesetzentwurfs zum historischen Finanzpaket zu verhindern. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) lehnte am Montagabend sechs Eilanträge ab.

Damit gibt es keine rechtlichen Hürden mehr für die finale Abstimmung im Parlament über den Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes, auf den sich Union und SPD am Freitag mit den Grünen verständigt hatten. Das Grundgesetz soll an mehreren Stellen geändert werden: Ausgaben für Verteidigung, Zivilschutz, Nachrichtendienste und Cybersicherheit sollen nur noch bis zu einer Grenze von einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts – also gemessen am BIP 2024 etwa 43 Milliarden Euro – unter die Schuldenbremse fallen. Alles darüber hinaus kann aus Krediten bezahlt werden. Die Länder sollen mehr Spielraum für eigene Verschuldung bekommen. Zudem soll im Grundgesetz ein Sondervermögen für Investitionen in Infrastruktur und Klimaneutralität verankert werden, das von der Schuldenbremse ausgenommen und mit 500 Milliarden Euro aus Krediten gefüttert werden soll.

Die Sondersitzung am Dienstag dient der zweiten und dritten Lesung, also der Abstimmung, über den entsprechenden Gesetzentwurf.

Anträge schon am Freitag erfolglos 

Bereits am Freitag hatte der Zweite Senat mehrere Anträge verworfen, die darauf abzielten, die Sondersitzung des "alten" Bundestags abzusagen. Auch Eilanträge gegen die Gestaltung des Gesetzgebungsverfahrens waren erfolglos geblieben.

Der Senat wies in seiner Entscheidung, ebenso wie viele Expertinnen und Experten im Vorfeld, auf Art. 39 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) hin. Der besagt, die Wahlperiode des "alten" Bundestags "endet mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestags". Daraus schloss das Gericht: "Dem 20. Deutschen Bundestag fehlt es nicht an verfassungsrechtlicher Legitimation." Der alte Bundestag sei in seinen Handlungsmöglichkeiten nicht beschränkt. Insofern entschied das Gericht in der Sache und wies die entsprechenden Organklagen auch in der Hauptsache ab.

Auch einen Eilantrag der fraktionslosen Abgeordneten Joana Cotar (ehemals AfD), der die angesichts der Wichtigkeit und Komplexität der geplanten Reformen zu kurzen Beratungs- und Befassungszeiten bemängelt, hatte der Zweite Senat verworfen. Hier entschied er nur vorläufig, im Rahmen einer Folgenabschätzung im Eilverfahren. Angesichts der drohenden Gefahr, dass die Grundgesetzänderungen nach der Neukonstituierung des 21. Bundestags wegen entsprechender Mehrheitsverhältnisse endgültig nicht mehr beschlossen werden können, müsse die Gefahr einer drohenden Verletzung von Abgeordnetenrechten hier zurückstehen. Diese Wertung war auch für die sechs Eilbeschlüsse am Montag maßgebend.

Folgenabwägung geht zugunsten der Abstimmung aus 

Nach Angaben des Gerichts waren am Freitag noch drei weitere Organstreitverfahren und vier Verfassungsbeschwerden anhängig. Die drei Organklagen hatten vier Linken-Abgeordnete, die BSW-Abgeordnete Sevim Dagdelen sowie die AfD-Fraktion eingereicht. Die dazugehörigen Eilanträge hat der Zweite Senat nun ebenso abgelehnt wie drei weitere über das Wochenende eingereichte Eilanträge von Abgeordneten der FDP, AfD und erneut Joana Cotar. 

Alle Verfahren betrafen im Wesentlichen das zeitlich enge Gesetzgebungsverfahren zur Änderung des Grundgesetzes. In allen Fällen traf der Zweite BVerfG-Senat eine vorläufige Entscheidung im Rahmen einer Folgenabwägung. Diese nimmt das BVerfG vor, wenn der Ausgang der Hauptsache offen ist. Geprüft wird dann, ob die Folgen einer möglicherweise falschen, also später zu revidierenden Eilentscheidung im Fall einer Stattgabe oder im Fall einer Ablehnung des Eilantrags schwerer wiegen.

Auch wenn aufgrund der Kürze der Zeit durchaus eine Verletzung von Abgeordnetenrechte drohen könnte, ist der Zweite Senat der Auffassung, dass die Abwägung zugunsten der Abstimmung am Dienstag und zulasten der Abgeordneten und Fraktionen ausgehen müsse. Schließlich würden die von Union, SPD und Grünen geplanten Verfassungsänderungen auf "endgültig unmöglich" gemacht, wenn die Abstimmung vor dem Zusammentritt des neuen Bundestags nicht mehr stattfindet, so das BVerfG am Freitag.

Im neuen, 21. Bundestag werden die geplanten Änderungen zur Aufweichung der Schuldenbremse für Verteidigung und zur Schaffung eines Sondervermögens für Infrastruktur und Klimaschutz keine Mehrheit finden. Der Gesetzentwurf, für den im Noch-Bundestag eine Mehrheit vorhanden ist, würde so dem Grundsatz der Diskontinuität zum Opfer fallen, warnte das Gericht. Der Grundsatz besagt, dass alle Gesetzesvorhaben und anderen Vorlagen, die innerhalb einer Legislaturperiode nicht abgeschlossen wurden, mit dem Ende dieser Periode automatisch verfallen.

AfD-Fraktion beklagt "komplexe Materie" und zu wenig Zeit für Beratung

So scheiterte im Rahmen der Folgenabwägung allen voran Cotar selbst. Sie habe in ihrem neuerlichen Eilantrag (Az. 2 BvE 11/25) "keine Gesichtspunkte" vorgebracht, die im Rahmen der Folgenabwägung zu einem anderen Ergebnis führten als beim Eilbeschluss vom Freitag (Az. 2 BvE 4/25). Dieses Begründungselement findet sich in allen sechs Eilbeschlüssen vom Montag.

So auch in dem Beschluss, mit der Zweite Senat den Antrag der AfD-Bundestagsfraktion und von 32 AfD-Abgeordneten auf Erlass einer einstweilige Anordnung ablehnte (Az. 2 BvE 10/25). Sie hatten vor allem die Kürze der Beratungszeit beklagt. Zur Begründung ihrer Eilanträge führten sie aus, dass die Materie sehr komplex sei. Erforderlich seien mindestens drei Wochen, um die notwendigen Informationen zu erlangen, zu prüfen und zu erfassen. Zahlreiche renommierte Experten hätten in den letzten Tagen zudem vor den Folgen der geplanten Verschuldung gewarnt. Auch führten sie einen Bericht des Bundesrechnungshofes vom 13. März 2025 an, in dem dieser auf die erheblichen Risiken der geplanten Gesetzentwürfe hingewiesen werde.

Das BVerfG erteilte ihrem Ansinnen eine Absage und verwies auf seine Entscheidungen vom Freitag. Der Senat ließ offen, "ob der Antrag in der Hauptsache unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist". Ebenso verfuhr er mit einem Antrag dreier AfD-Abgeordneter vom Wochenende (Az. 2 BvE 13/25).

Linke-Abgeordnete bezweifeln Kompetenz des "alten" Bundestags 

Ebenso scheiterten vier Bundestagsabgeordnete der Linken, Dietmar Bartsch, Clara Bünger, Christian Görke sowie Gesine Lötzsch (Az. 2 BvE 7/25). Lötzsch wird im nächsten Bundestag nicht mehr vertreten sein.

Zur Begründung ihres Eilantrages hatten sie ausgeführt, der Gesetzentwurf von Union, SPD und Grünen sei eigentlich von der zukünftigen Bundesregierung erarbeitet worden. Diese aber habe kein Recht zur Einbringung eines Gesetzentwurfs nach Art. 76 Abs. 2 GG. Zudem sei der Entwurf mehrfach kurzfristig verändert worden, die Ausschusssitzungen seien kurzfristig terminiert und dann doch wieder verschoben worden. Aufgrund der Eile und der mehrfachen Änderungen habe keine ordnungsgemäße Sachverständigenanhörung stattgefunden. Angesichts der Vielzahl an Verfahrensfehlern könne von einer schützenswerten Verfahrensautonomie des Bundestages nicht mehr die Rede sein.

Zudem hatten die Linken-MdBs versucht, das BVerfG davon zu überzeugen, dass eine einstweilige Anordnung unerlässlich zur Abwehr schwerer Nachteile im Sinne von Art. 32 Abs. 1 GG sei. Das sah das Gericht anders: Es verweis ebenfalls auf seine Ausführungen vom Freitag zur Folgenabwägung und stellte außerdem klar: "Äußere Bindungswirkungen im völker- oder unionsrechtlichen Verkehr entstehen durch die geplanten Verfassungsänderungen nicht."

Auch die ehemalige Linken-Abgeordnete Dagdelen, die im 21. Bundestag nicht mehr vertreten sein wird, nachdem das BSW an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte, hatte eine Verletzung ihrer Mitwirkungsrechte als Abgeordnete gerügt. Gemessen an der Komplexität der geplanten Grundgesetz-Änderungen und der tatsächlichen folgen sei die Einarbeitungszeit zu kurz bemessen. Auch diese Argumentation blieb im Rahmen der Folgenabschätzung ohne Erfolg (2 BvE 8/25).

FDP-Abgeordnete kritisieren "enorme Verschuldungsmöglichkeiten"

Abgeblitzt sind in Karlsruhe auch die drei FDP-Bundestagsabgeordneten Florian Toncar, Otto Fricke und Thorsten Lieb (Az. 2 BvE 12/25). Sie hatten vorgebracht, die beabsichtigten Änderungen des Grundgesetzes eröffneten enorme Verschuldungsmöglichkeiten und entfalteten damit eine Zukunftsbindung, die weder mit dem Gedanken intertemporaler Gerechtigkeit noch der bisherigen Grundkonzeption der Schuldenbegrenzungsregelungen im Grundgesetz vereinbar sei. 

Darüber hinaus sei die geplante Erstreckung des geplanten Sondervermögens auf das Ziel der Klimaneutralität in ihrer Reichweite und ihren Folgen nicht ansatzweise überschaubar. Gleiches gelte für die beabsichtigten Regelungen zu den Verschuldungs- und Investitionsmöglichkeiten der Länder und deren Auswirkungen auf das (verfassungsrechtliche) Verhältnis zwischen Bund und Ländern. Außerdem beklagten sie ein "übereiltes Gesetzgebungsverfahren", unter anderem habe die Bundesregierung habe im federführenden Haushaltsausschuss Fragen teils nicht oder nur unzureichend beantwortet. 

Doch davon ließen sich die Verfassungsrichterinnen und -richter nicht überzeugen: "Die Entscheidung darüber, inwieweit das Vorbringen der Antragsteller zum Ablauf der Gesetzesberatungen bis zum 16. März 2025 Anhaltspunkte für eine Verletzung des Rechts der Abgeordneten aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG auf informierte Beratung und Beschlussfassung enthält, ist der Hauptsache vorbehalten", so das Gericht.

Damit kann die von 10 bis cirka 15 Uhr am Dienstag anberaumte Sondersitzung stattfinden. Union, SPD und Grünen verfügen über eine komfortable Mehrheit von über 70 Prozent, sodass die Stimmen vereinzelter Abweichler in den Reihen aller drei Fraktionen das Abstimmungsergebnis nicht gefährden dürften. Anschließend muss am Freitag noch der Bundesrat zustimmen, ebenfalls mit Zweidrittelmehrheit. Nachdem sich die bayerische Landesregierung aus CSU und Freien Wählern auf eine Zustimmung verständigt hat, gilt auch hier die Mehrheit mittlerweile als gesichert.

Der Artikel wurde am Abend der Veröffentlichung fortlaufend aktualisiert. Letzte Änderung 23:50 Uhr (mk).

Zitiervorschlag

Weitere Eilanträge abgelehnt: . In: Legal Tribune Online, 17.03.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56811 (abgerufen am: 22.04.2025 )

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