BVerfG zum Rechtsschutzbedürfnis im Organstreitverfahren: Abge­ord­nete müssen dop­pelt fragen

20.10.2017

Das BVerfG hat einen Antrag der Grünen-Abgeordneten Irene Mihalic im Organstreitverfahren als unzulässig verworfen. Sie war der Auffassung, die Bundesregierung hätte ihre parlamentarische Frage falsch beantwortet.

Hält ein Abgeordneter seine an die Bundesregierung gerichtete parlamentarische Frage für unrichtig beantwortet, muss er diese vor Einleitung des Organstreitverfahrens mit der (mutmaßlichen) Unrichtigkeit der Antwort konfrontieren. Die Bundesregierung muss die Möglichkeit haben, die Sach- und Rechtslage zu prüfen und ihre Antwort gegebenenfalls zu berichtigen oder zu ergänzen. Anderenfalls fehlt es am Rechtsschutzbedürfnis für ein Organstreitvefahren. Das hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit am Freitag veröffentlichtem Beschluss entschieden und damit den im Organstreitverfahren gestellten Antrag der Bundestagsabgeordneten Irene Mihalic verworfen (Beschl. v. 10.10.2017, Az. 2 BvE 6/16).

Mihalic ist innenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Im Rahmen der Aufklärung der Vorfälle in der Silvesternacht 2015/2016 im Bereich des Kölner Doms und des Hauptbahnhofs richtete sie im März 2016 eine schriftliche Frage an die Bundesregierung. Sie wollte wissen, ob beim Bundesministerium des Innern in den ersten Tagen des Jahres 2016 aus Nordrhein-Westfalen eine Meldung über elf auf einem Bahnhofsvorplatz begangene sexuelle Übergriffe zum Nachteil junger Frauen eingegangen sei. Die Bundesregierung verneinte dies, wies in der Antwort allerdings darauf hin, dass die fehlenden Angaben in der Frage zum Zeitpunkt und zum Ereignisort die Recherchen erschwert hätten.

Einige Monate später, im Oktober 2016, befragte der Untersuchungsausschuss "Silvesternacht 2015" des Nordrhein-Westfälischen Landtages den Bundesinnenminister unter anderem zur Rolle der Bundespolizei in der Kölner Silvesternacht 2015/2016 und zu den Meldungen aus dem Land Nordrhein-Westfalen. Dabei ging Thomas de Maizière (CDU) auch darauf ein, dass es in der Silvesternacht und am Abend des Neujahrstages Meldungen vom Land Nordrhein-Westfalen an das Bundesministerium des Innern gab, unter anderem auch eine, die elf Übergriffe auf junge Frauen auf dem Kölner Bahnhofsvorplatz betraf.

Abgeordnete haben Konfrontationsobliegenheit

Mihalic fand deshalb, dass ihre Frage im März 2016 falsch oder unzureichend beantwortet worden war. Im Organstreitverfahren begehrt sie die Feststellung, dass die Bundesregierung sie dadurch in ihren Rechten aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz (GG) verletzt habe.

Das BVerfG wies ihren Antrag aber nun als unzulässig ab. Der Abgeordneten fehle das im Organstreitverfahren erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Dieses setze das Bestehen eines für den Antragsgegner erkennbaren Konflikts voraus. Daher treffe den Antragsteller bei (vermeintlich oder tatsächlich) unrichtig beantworteten parlamentarischen Fragen vor Einleitung des Organstreitverfahrens eine Konfrontationsobliegenheit.

Abgeordnete müssten der Bundesregierung durch einen Hinweis auf die (mutmaßliche) Unrichtigkeit ihrer Antwort die Möglichkeit geben, die Sach- und Rechtslage ihrerseits zu prüfen und ihre Antwort gegebenenfalls zu berichtigen oder zu ergänzen. Mihalic hätte, so die Karlsruher Richter, das hinter ihrer Frage stehende Informationsinteresse erneut zum Gegenstand einer klarstellenden Nachfrage machen müssen, bevor sie ein Organstreitverfahren einleitet. So hätte sie klären müssen, ob es zwischen ihr und der Bundesregierung angesichts der späteren Äußerungen des Bundesministers des Innern im Untersuchungsausschuss überhaupt eine Kontroverse gibt. 

acr/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

BVerfG zum Rechtsschutzbedürfnis im Organstreitverfahren: Abgeordnete müssen doppelt fragen . In: Legal Tribune Online, 20.10.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25141/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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