BVerfG zum Abhängen von Protestplakaten: Poli­zei­ak­tion in Abge­ord­ne­ten­büro ver­fas­sungs­widrig

30.06.2020

Das Eindringen der Polizei in das Büro eines Linken-Abgeordneten war verfassungswidrig. Der Abgeordnete hatte anlässlich eines Besuchs des türkischen Präsidenten Ausdrucke kurdischer Fahnen und Symbole in seinem Büro aufgehangen.

Das Eindringen von Polizisten in das Büro des Linken-Bundestagsabgeordneten Michel Brandt im September 2018 war verfassungswidrig. Das entschied das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe mit einem am Dienstag veröffentlichten Beschluss. Der Präsident des Deutschen Bundestags, Wolfgang Schäuble (CDU), habe den Abgeordneten in seinem Abgeordnetenstatus aus Artikel 38 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) verletzt (Beschl. v. 09.06.2020, Az. 2 BvE 2/19).

An Brandts Abgeordnetenbüro im Parlamentsgebäude hingen während eines Besuchs des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan DIN A4 große Ausdrucke einer Kurdistan-Flagge sowie eines Wimpels der kurdischen Verteidigungseinheiten YPG. Brandt war nicht im Büro, Polizisten des Budestages gelangten mit einem Zentralschlüssel hinein und entfernten die Ausdrucke. Die Bundestagsverwaltung rechtfertigte das Eindringen auch damit, dass sich Erdogan-Anhänger durch die Plakate provozieren und zu Aktionen gegen den Bundestag hätten hinreißen lassen können.

Die Maßnahme genüge den verfassungsrechtlichen Anforderungen an einen Eingriff in das freie Mandat nicht, so das BVerfG zur Begründung. Das Gericht ließ dabei offen, ob Art. 40 Abs. 2 Satz 1 GG selbst eine taugliche Ermächtigungsgrundlage für ein polizeiliches Handeln des Bundestagspräsidenten darstellt oder ob es insoweit eines formellen Gesetzes bedurft hätte. Denn selbst wenn die Vorschrift eine taugliche Ermächtigungsgrundlage wäre, müsste das polizeiliche Handeln den Anforderungen der Dienstanweisung für den Polizeivollzugsdienst der Polizei beim Deutschen Bundestag (DA-PVD) genügen. Dies sei jedoch nicht der Fall, so die Karlsruher Richter.

Geringes Provokationspotential

§ 23 DA-PVD gestattet der Polizei das Betreten von Abgeordnetenräumen zur Abwehr einer Gefahr. Die Maßnahme sei jedoch nicht verhältnismäßig im engeren Sinne. Die Absicht, die Funktionsfähigkeit des Deutschen Bundestages durch die Abwehr äußerer Gefahren zu sichern, wiege laut Gericht nicht schwerer als die Sicherung der Funktionsfähigkeit durch die Gewährleistung der Integrität der Abgeordnetenbüros.

"Im konkreten Fall waren die Anhaltspunkte für eine Gefahrenlage nur schwach ausgeprägt", so der Senat. Zudem sei nicht ersichtlich, dass die Plakatierungen überhaupt von Passanten wahrgenommen worden oder zum Anlass von Angriffen auf das Parlamentsgebäude oder die Mitarbeiter genommen worden wären. Das Provokationspotential sei angesichts der kleinformatigen Plakatierung nur gering. Außerdem habe es keinen Versuch gegeben, den Abgeordneten telefonisch zu erreichen, teilte der Zweite Senat mit.

acr/LTO-Redaktion

mit Materialien der dpa

Zitiervorschlag

BVerfG zum Abhängen von Protestplakaten: Polizeiaktion in Abgeordnetenbüro verfassungswidrig . In: Legal Tribune Online, 30.06.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42041/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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