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BVerfG zum Wahlrechtsschutz: Keine inzi­dente Nor­men­kon­trolle in der Nichta­n­er­ken­nungs­be­schwerde

von Pauline Dietrich, LL.M.

08.06.2022

Die Richter:innen des BVerfG bei einer Verhandlung

Die Wahlprüfungsbeschwerde sei dazu da, die Verfassungsmäßigkeit der Bundestagswahlen und der relevanten Normen zu untersuchen - und nicht die Nichtanerkenngungsbeschwerde, so das BVerfG. Foto: picture alliance/dpa | Uli Deck

Wurde eine Partei nicht anerkannt und daher nicht zur Wahl zugelassen, kann sie per Nichtanerkennungsbeschwerde vor das BVerfG ziehen. Das prüft dann aber nur die korrekte Anwendung einfachen Rechts, nicht dessen Verfassungsmäßigkeit.

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Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) prüft im Rahmen einer Nichtanerkennungsbeschwerde einer Partei nicht inzident, ob die angewandten Normen im Wahlrecht verfassungsgemäß sind. Es prüft lediglich, ob der Bundeswahlausschuss das entsprechende einfache Recht richtig angewendet hat. Die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des einfachen gehöre dagegen in das Verfahren der Wahlprüfungsbeschwerde, das erst nach einer Wahl stattfindet. Das hatte das BVerfG zwar bereits im Juni vergangenen Jahres und damit vor der Bundestagswahl 2021 entschieden, die Begründung dazu hat es aber nun erst rund ein Jahr später nachgeliefert (Beschl. v. 22.07.2022, Az. 2 BvC 10/21).

Hintergrund der Entscheidung des BVerfG ist die Entscheidung des Bundeswahlausschusses vom 9. Juli 2021, die "Deutsche Zentrumspartei" nicht als Partei für die Bundestagswahl 2021 anzuerkennen. Der Bundeswahlausschuss war nämlich der Auffassung, dass die Partei gar keine Partei mehr sei – sie habe ihre Rechtsstellung verloren, weil sie keine oder unvollständige Rechenschaftsberichte eingereicht habe und damit nach § 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 23 des Parteiengesetzes (PartG) ihre Rechtsstellung verloren habe.

Die Deutsche Zentrumspartei wandte sich gegen diese Entscheidung an das BVerfG und wählte dafür den Weg der Nichtanerkennungsbeschwerde. Nach Auffassung der Partei verstößt die Nichtzulassung gegen Art. 21 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), der die Parteien und ihren Anteil an der politischen Willensbildung im Volk betrifft. Begründung: Unter anderem sei die vom Bundeswahlausschuss angewandte Norm § 23 des PartG verfassungsrechtlich fragwürdig.

Gesetzliche Systematik sieht nachgelagerten Wahlrechtsschutz vor

Ob das der Fall ist oder nicht, klärte das BverfG aber erst gar nicht, wie die nun veröffentlichte Begründung zeigt. Die Karlsruher Richter:innen sind nämlich der Ansicht, dass die Verfassungsmäßigkeit der Normen, auf die der Bundeswahlausschuss seine Entscheidung stützt, nicht im Rahmen der von der Deutschen Zentrumspartei gewählten Nichtzulassungsbeschwerde geprüft werden kann. Die Auslegung von Art. 93 Abs. 1 Nr. 4c GG, §§ 96a-d Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) und § 18 Abs. 4a Bundeswahlgesetz (BWahlG), die dieses Verfahren regeln, zeigten, dass das BVerfG nur die ordnungsgemäße Anwendung des einfachen Rechts und gerade nicht des Verfassungsrechts überprüfen könne.

Das Gericht begründet dies vor allem mit systematischen Erwägungen. Erstens schreibe das BWahlG für die Nichtanerkennung einer Partei zur Bundestagwahl einen engen Zeitraum vor, was gegen die zeitintensive Durchführung inzidenter Normenkontrollen im Nichtanerkennungsbeschwerdeverfahren spreche. Zweitens sehe das BVerfGG eine viertägige Begründungsfrist für die Nichtanerkennungsbeschwerde vor – und das sei zu kurz, um die Verfassungswidrigkeit einer Norm substantiiert begründen zu können.

Des Weiteren gelte in Wahlsachen der Grundsatz des nachgelagerten Rechtsschutzes, der Wahlrechtsschutz erfolge also grundsätzlich erst nach der Wahl. Das sei zur termingerechten Durchführung der Wahl auch zwingend. Deshalb ist es nach Ansicht der Karlsruher Richter:innen unbedenklich, dass die Rechtskontrolle während Vorbereitung und Durchführung der Wahl eingeschränkt ist und erst hinterher erfolgt – und zwar im Rahmen einer Wahlprüfungsbeschwerde. Dort setze sich das BVerfG dann ggf. auch mit der Verfassungsmäßigkeit der angewandten Wahlrechtsnormen auseinander.

"Hauptsacheverfahren als Eilverfahren behandeln"

Sinn und Zweck der Nichtanerkennungsbeschwerde sprechen laut BVerfG ebenfalls gegen eine inzidente Normenkontrolle innerhalb dieses Verfahrens. Es soll nämlich einer zu Unrecht nicht als Partei anerkannten Vereinigung die Teilnahme an der Wahl ermöglichen - und gleichzeitig die termingerechte Durchführung einer Wahl ermöglichen. Damit sei die Nichtanerkennungsbeschwerde letztendlich ein "hybrides Verfahren", das zwar ein Hauptsacheverfahren sei, das "jedoch besonders  beschleunigt durchzuführen und im Ergebnis wie ein Eilverfahren zu behandeln ist", so das Verfassungsgericht.

Ob etwas anderes gilt, wenn die in Frage stehende Norm offensichtlich verfassungswidrig ist und so ein schwerwiegender Wahlfehler droht, könne in dem konkreten Fall offen bleiben – denn das sei bei den hier entscheidungserheblichen Normen nicht der Fall.

Einen Verstoß gegen die Rechtsschutzgarantie nach Art. 19 Abs. 4 GG sieht das BVerG ebenfalls nicht. Schließlich könne die Verfassungswidrigkeit der Normen auch hinterher im Wahlprüfungsverfahren geklärt werden. Damit lehnt das BVerfG eine gegenteilige Ansicht im Schrifttum ab.

Für die Deutsche Zentrumspartei bedeutet die nun begründete Entscheidung nach wie vor, dass der Bundeswahlausschuss das einfache Recht nach Auffassung des BVerfG korrekt angewendet hat und sie zu Recht nicht als Partei für die Bundestagswahl 2021 anerkannt wurde und daher nicht teilnehmen konnte.

pdi/LTO-Redaktion

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BVerfG zum Wahlrechtsschutz: Keine inzidente Normenkontrolle in der Nichtanerkennungsbeschwerde . In: Legal Tribune Online, 08.06.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48684/ (abgerufen am: 26.03.2023 )

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