Das Bundesverfassungsgericht beanstandet die Staatsanleihenkäufe der EZB als kompetenzwidrig. Und sieht einen Verstoß gegen das GG. Das anderslautende Urteil des EuGH sei "schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar" und damit ebenfalls ultra vires.
Ein Paukenschlag aus Karlsruhe: Mit ihren Beschlüssen zum Staatsanleihekaufprogramm aus 2015 habe die EZB kompetenzwidrig gehandelt, das hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) am Dienstag entschieden (Urt. v. 05.05.2020, Az. 2 BvR 859/15 u.a). Die Verfassungsbeschwerden waren in Karlsruhe insofern erfolgreich, als die Richter feststellten, dass Bundesregierung und Bundestag es unterlassen haben, gegen die EZB-Entscheidung für das Public Sector Purchase Programme (PSPP) vorzugehen.
Besonders bedeutend: Dem stehe auch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 11. Dezember 2018 nicht entgegen, da es im Hinblick auf die Kontrolle der Verhältnismäßigkeit der zur Durchführung des PSPP erlassenen Beschlüsse "schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar" und damit ebenfalls ultra vires ergangen sei, so das Urteil.
Konfrontation mit dem EuGH
Im Jahr 2017 hatten die BVerfG-Richter des 2. Senats dem EuGH mehrere Fragen zum Verfahren vorgelegt, sie sahen die Entscheidung der EZB kritisch. Diese Fragen betrafen insbesondere das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung, das Mandat der EZB für die Währungspolitik und einen möglichen Übergriff in die Zuständigkeit und Haushaltshoheit der Mitgliedstaaten. Sie befürchteten, dass der Ankauf eine verdeckte Staatsfinanzierung sein könnte, zu Lasten des deutschen Steuerzahlers.
Der EuGH hatte allerdings keine Bedenken gegen das Ankaufprogramm. Dass die Bank mit dem währungspolitisch motivierten Wertpapierankauf zwangsläufig auch Einfluss auf die Gesamtwirtschaft nimmt, hielten die Luxemburger Richter mit ihrer Entscheidung aus dem Jahr 2018 für zulässig. Der Gerichtshof hatte der EZB einen weiten Beurteilungsspielraum eingeräumt. Nun lag das "letzte Wort" beim BVerfG.
Die Europäische Zentralbank (EZB) hatte 2015 ein neues Programm aufgelegt und Staatsanleihen angekauft. Mit dem milliardenschweren Kaufprogramm wollte die EZB eine drohende Deflation bekämpfen und die Wirtschaft ankurbeln. Bis Ende 2018 belief sich das Gesamtvolumen der Ankäufe auf etwa 2,6 Billionen Euro.
Die EZB hat grundsätzlich nur ein Mandat für die Geldpolitik, darf aber keine Wirtschaftspolitik – das ist Sache der Nationalstaaten – betreiben. Die Kernfrage blieb also: Wie viel wirtschaftspolitische Folgen darf eine als geldpolitische deklarierte Maßnahme der EZB haben? Als das BVerfG im Juli 2019 zwei Tage lang verhandelte, ging es vor allem auch um die tatsächlichen Auswirkungen des Programms.
Die Verfassungsbeschwerden mehrerer Personen richteten sich gegen das Anleihekaufprogramm, das sogenannte PSPP. Die Deutsche Bundesbank dürfe an diesem Programm nicht mitwirken und der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung seien verpflichtet, geeignete Maßnahmen gegen das Programm zu ergreifen, argumentierten die Beschwerdeführer. Denn letztlich stellten sich Legitimationsfragen für die Entscheidungen der EZB.
Die Entscheidung könnte auch Auswirkungen auf Corona-Hilfsprogramme der EZB haben. Um die wirtschaftlichen Folgen der Krise abzufedern, investiert die EZB bis Jahresende im Rahmen der laufenden Kaufprogramme 120 Milliarden Euro zusätzlich. Dieses Geld soll vor allem in Unternehmenspapiere fließen. Zudem steckt die EZB 750 Milliarden Euro über ein Notprogramm (Pandemic Emergency Purchase Programme/PEPP) in Staats- und Unternehmensanleihen.
Das Urteil sollte ursprünglich am 24. März verkündet werden, war also so gut wie fertig, als die Pandemie ausbrach. Aktuelle finanzielle Hilfsmaßnahmen der Europäischen Union oder der EZB im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Corona-Krise sind nicht Gegenstand der Entscheidung, wie das Gericht am Dienstag betonte.
Markus Sehl, BVerfG auf Konfrontation mit dem EuGH: . In: Legal Tribune Online, 05.05.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41505 (abgerufen am: 08.10.2024 )
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