Bei schweren Vergehen können Beamte aus dem Dienst entfernt werden – und das auch ohne die Entscheidung eines Disziplinargerichts. Das BVerfG hat einen früheren Polizeibeamten auf den Verwaltungsrechtsweg verwiesen.
Baden-Württemberg darf Landesbeamte bei schweren Vergehen direkt durch deren Vorgesetzte aus dem Dienstverhältnis entfernen lassen. Auch diese schärfste aller Disziplinarmaßnahmen muss nicht zwingend von einem Dienstgericht verhängt werden, wie das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nach der Verfassungsbeschwerde eines Ex-Polizisten entschied. Der Beschluss der Karlsruher Richter wurde am Mittwoch veröffentlicht (v. 14.01.2020, Az. 2 BvR 2055/16).
Der Mann war 2011 durch eine Verfügung des Polizeipräsidiums Karlsruhe aus dem Beamtenverhältnis entfernt worden. Grund dafür war seine Verurteilung zu einer elfmonatigen Freiheitsstrafe auf Bewährung unter anderem wegen Insolvenzverschleppung. Der Mann war nebenher als Geschäftsführer zweier Bauunternehmen tätig.
In Baden-Württemberg werden seit 2008 sämtliche Disziplinarmaßnahmen gegen Landesbeamte durch behördliche Verfügung ausgesprochen. Dafür hatte das Land § 38 Abs. 1 des Landesdisziplinargesetzes Baden-Württemberg (LDG BW) geändert. Mit der Neuregelung sollten die Disziplinarverfahren vereinfacht und beschleunigt werden, wie ein Sprecher des Innenministeriums auf Anfrage mitteilte. "Sowohl im Hinblick auf die Sachnähe als auch aus Gründen der Effizienz sollte das Ermittlungsverfahren von der Behörde betrieben und abgeschlossen werden, welche die Verhältnisse vor Ort und die betroffene Beamtin oder den betroffenen Beamten am besten kennt."
Es muss nicht das Disziplinargericht sein
Im Bund und in anderen Ländern ist das bei den Höchststrafen anders. Dort muss die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nach einer Disziplinarklage von einem Disziplinargericht, das bei den Verwaltungsgerichten angesiedelt ist, verhängt werden.
Darauf hat auch der ehemalige Polizeibeamte bestanden. Er meinte, dass so eine Maßnahme grundsätzlich nicht durch den Vorgesetzten ausgesprochen werden dürfe und berief sich auf die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums aus Art. 33 Abs. 5 Grundgesetz (GG).
Mit der Entscheidung hat das BVerfG nun aber geklärt, dass das zulässig ist. "Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis durch Verwaltungsakt verstößt nicht gegen hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums", heißt es in dem Beschluss. Damit sind Prinzipien gemeint, die sich vor allem in der Weimarer Republik herausgebildet haben und bis heute als verbindlich anerkannt sind.
Aus diesen Strukturprinzipien lasse sich aus Sicht der Verfassungsrichter aber nicht ableiten, dass Beamte nur durch eine richterliche Entscheidung aus ihrem Dienst entfernt werden können oder diese alleinige Verantwortung jedenfalls dem eigenen Vorgesetzen entzogen ist. Letztlich solle zwar verhindert werden, dass ein Einzelner letztverbindlich darüber entscheidet. Dem werde aber mit einer nachträglich gerichtlichen Kontrolle Rechnung getragen.
Sondervotum von BVR Prof. Dr. Huber
Aus diesem Grund sah das BVerfG auch keinen Verstoß gegen das prägende Lebenszeitprinzip. Danach sind Beamte nicht nur auf Lebenszeit angestellt, ihr Status ist auch grundsätzlich nicht entziehbar. Dieser gesicherten Stellung liegt der Gedanke einer an Recht und Gesetz orientierten Amtsführung unabhängig etwaiger politischer Einflüsse zugrunde.
Der besondere Status des Beamten führe aber nicht dazu, dass auch die erste Entscheidung über eine disziplinare Maßnahme von einem Gericht getroffen werden muss. Schließlich könne ein möglicher Eingriff in das Lebenszeitprinzip durch "nachträglich gerichtliche Überprüfung hinreichend effektiv korrigiert werden", so der Zweite Senat. Auch kurzfristige Nachteile könnten mit dem einstweiligen Rechtsschutzverfahren ausreichend begegnet werden.
Einig war sich der Zweite Senat allerdings nicht. Bundesverfassungsrichter Prof. Dr. Peter Huber hielt in seinem Sondervotum die "praktisch ersatzlose Streichung des präventiven Richtervorbehalts" für unverhältnismäßig, weil ein Verwaltungsverfahren nicht der besonderen Stellung gerecht werde. Beamte müssten vor einer willkürlichen Entlassung effektiv geschützt werden und verglichen mit dem Status vor der baden-württembergischen Gesetzesänderung bestünden empfindliche Nachteile und Risiken. Beispielhaft zählte Hubert die Verlagerung des Prozessrisikos, wirtschaftliche und soziale Unsicherheit und eine fehlende Parteiparität auf.
Wie viele baden-württembergische Beamte seit 2008 aus dem Dienst entfernt wurden, ist unklar. Laut Innenministerium führt das Land darüber keine Statistik. Eine ungefähre Vorstellung vermitteln die Zahlen für Bundesbeamte: Auf dieser Ebene wurden im Jahr 2018 bei insgesamt knapp 285.000 Beamten im aktiven Dienst oder im Ruhestand 608 Disziplinarverfahren abgeschlossen. Dabei wurden 341 Disziplinarmaßnahmen verfügt, 8 wurden durch Gerichtsentscheidung aufgehoben. Aus dem Dienst entfernt wurden acht Beamte.
mgö/LTO-Redaktion
Mit Materialien der dpa
BVerfG zum Beamtentum: . In: Legal Tribune Online, 11.03.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40771 (abgerufen am: 09.11.2024 )
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