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BVerfG: Die Wahl­fest­stel­lung ist ver­fas­sungs­gemäß

19.07.2019

Unschlüssigkeit (Symbolbild)

© alphaspirit - stock.adobe.com

Bestehen beispielsweise Zweifel, ob ein Täter Dieb oder Hehler war, darf der Richter ihn trotzdem verurteilen, wenn feststeht, dass er eine der Taten begangen hat. Diese sogenannte Wahlfeststellung sei verfassungskonform, so das BVerfG.

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Ist sich ein Gericht zum Beispiel unsicher, ob der Täter Diebesgut nur weiterverkauft oder es auch gestohlen hat, darf der Richter den Angeklagten trotz bestehender Zweifel verurteilen. Diese sogenannte Wahlfeststellung ist nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) mit dem Grundgesetz vereinbar, wie am Freitag bekannt wurde (Beschl. v. 05.07.2019, Az. 2 BvR 167/18).

Vor Gericht gilt der Grundsatz "in dubio pro reo". Demnach darf ein Angeklagter im Strafprozess nicht verurteilt werden, wenn das Gericht nicht von der Schuld des Täters überzeugt ist. Bei Zweifeln ist der Täter daher freizusprechen. Eine Art Ausnahme bildet hier die sogenannte Wahlfeststellung. Sie erlaubt es Gerichten unter bestimmten Umständen, den Täter auch dann zu verurteilen, wenn Zweifel darüber bestehen, welche Taten der Täter im Einzelnen begangen hat.

Ein Beispiel und Gegenstand lang anhaltender juristischer Diskussion ist die Abgrenzung zwischen Diebstahl und Hehlerei. Bei solchen Sachverhalten kann es vorkommen, dass der Fall nur insoweit aufgeklärt werden kann, dass feststeht, dass der Täter einen der Straftatbestände verwirklicht hat, es sich aber nicht klären lässt, welchen. Gerichte können den Täter dann "wegen Diebstahls oder Hehlerei" verurteilen.

BVerfG: Wahlfeststellung mit Unschuldsvermutung vereinbar

Ein solches Vorgehen verstößt nicht gegen die Verfassung, so das BVerfG nun. Zur Begründung heißt es, dass die Wahlfeststellung nicht gegen das Bestimmtheitsgebot verstoße, weil sie nicht dazu diene, materiell-rechtliche Strafbarkeitslücken zu schließen. Dies sei alleinige Aufgabe des Gesetzgebers. Die Wahlfeststellung indes ermögliche "ausschließlich die Bewältigung verfahrensrechtlicher Erkenntnislücken", so die Karlsruher Richter.

In diesem Zusammenhang stellt das Verfassungsgericht zudem fest, dass die Wahlfeststellung auch nicht gegen den Grundsatz "nulla poena sine lege" verstoße, wonach eine Strafandrohung nur dann in Betracht kommt, wenn sie gesetzlich normiert ist. Denn auch bei der Wahlfeststellung entnähmen die Tatrichter Art und Maß der Bestrafung einem gesetzlich normierten Straftatbestand. Von den entsprechend ermittelten Straftatbeständen, so die Karlsruher Richter, müsse dann aber stets die für den Täter günstigste Auswahl getroffen werden.

Auch der im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Unschuldsvermutung trägt die Wahlfeststellung nach Auffassung der Verfassungsrichter hinreichend Rechnung. Denn jedenfalls dann, wenn die in Frage stehenden Straftatbestände einen vergleichbaren Unrechtscharakter - wie bei den Tatbeständen des Diebstahls und der Hehlerei - aufweisen, fordere die Unschuldsvermutung gerade keinen Freispruch. "Vielmehr stünde ein Freispruch trotz unzweifelhaft strafbaren Verhaltens aufgrund mehrfacher Anwendung des Zweifelssatzes seinerseits in Widerspruch zu dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit", heißt es in dem Beschluss.

BVerfG erinnert an den Ausnahmecharakter der Wahlfeststellung

Trotz der somit grundsätzlich gegebenen Verfassungsmäßigkeit der Wahlfeststellung mahnen die Richter zur Zurückhaltung und erinnern an den Ausnahmecharakter dieses Rechtsinstituts. Eine gesetzesalternative Verurteilung komme nur dann in Betracht, "wenn trotz Ausschöpfung aller verfügbaren Erkenntnisquellen eine eindeutige Tatfeststellung und ein eindeutiger Tatnachweis nicht möglich sind".

Die Möglichkeit der Wahlfeststellung dürfe nämlich nicht dazu führen, dass die weitere Aufklärung des Tatsachenstoffs unterbleibt, so das BVerfG. Den Tatgerichten obliege es daher, bereits im Rahmen des Eröffnungsbeschlusses das Vorliegen der Voraussetzungen einer Wahlfeststellung zu überprüfen.

tik/LTO-Redaktion

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BVerfG: Die Wahlfeststellung ist verfassungsgemäß . In: Legal Tribune Online, 19.07.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36591/ (abgerufen am: 30.03.2023 )

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