BVerfG zu Bestimmtheitsgebot: Straf­vor­schrift im Rind­f­lei­sche­ti­ket­tie­rungs­ge­setz ver­fas­sungs­widrig

03.11.2016

Die Strafvorschriften im Rindfleischetikettierungsgesetz genügen den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen nicht . Zu einer weit spannenderen Frage des Verfahrens nimmt das BVerfG aber überraschend mit keinem Wort Stellung.

Die Strafvorschrift in § 10 Abs. 1 und 3 Rindfleischetikettierungsgesetz (RiFlEtikettG) ist mit den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen (Art. 103 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG sowie Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG) unvereinbar und nichtig. Dies das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am Donnerstag entschieden (Beschl. v. 03.11.2016, Az. 2 BvL 1/15).

Das Amtsgericht (AG) Tiergarten hatte den Angeklagten des Ausgangsverfahrens 2012 zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er in seiner Dönerproduktion lagerndes Rindfleisch nicht bzw. nicht entsprechend den Vorgaben des RiFlEtikettG etikettiert hatte. Auf die Berufung hin hatte das Landgericht (LG) Berlin das Verfahren dann ausgesetzt und Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von § 10 Abs. 1 und 3 RiFlEtikettG formuliert. Nach Auffassung der Berliner Richter handele es sich bei der Strafvorschrift wegen Verstoßes gegen die Bestimmtheitsanforderungen für eine unzulässige Blankettstrafnorm.

Bei einem Blankettstrafgesetz ersetzt der Gesetzgeber die Beschreibung des Straftatbestandes durch die Verweisung auf eine Ergänzung im selben Gesetz oder in anderen - auch künftigen - Gesetzen oder Rechtsverordnungen. Die Verwendung dieser Gesetzgebungstechnik ist nach der Rechtsprechung des BVerfG verfassungsrechtlich unbedenklich, sofern das Blankettstrafgesetz hinreichend klar erkennen lässt, worauf sich die Verweisung bezieht. Das gilt auch für Blankettstrafgesetze, die Zuwiderhandlungen gegen bestimmte Verbote oder Gebote eines unmittelbar anwendbaren Rechtsakts der Europäischen Union sanktionieren sollen und zu diesem Zweck auf das Unionsrecht verweisen.

Ministerium entscheidet über Tatbestände

Das BVerfG befand nun, dass es sich bei § 10 Abs. 1 RiFlEtikettG um eine Blankettstrafnorm handelt, die die Strafandrohung nach Art und Maß der Strafe regelt, den Straftatbestand aber lediglich als Zuwiderhandlung gegen eine unmittelbar geltende Vorschrift in Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft skizziert. Die Beschreibung des Straftatbestandes erfolge letztlich über eine Verweisung in § 1 Abs. 1 RiFlEtikettG auf Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft über die Etikettierung von Rindfleisch.

Die Norm lasse aber auch in Verbindung mit § 1 Abs. 1 RiFlEtikettG nicht hinreichend klar erkennen, welche Verstöße gegen unionsrechtliche Vorgaben sanktioniert werden sollen. Anstatt selbst oder durch Verweis auf ein anderes Gesetz festzulegen, welches Verhalten strafbar sein soll, überlasse § 10 Abs. 1 RiFlEtikettG es dem Bundesministerium, durch Rechtsverordnung die Tatbestände zu bezeichnen, die als Straftat zu ahnden sind.

§ 10 Abs. 3 RiFlEtikettG fehle es darüber hinaus an einer gesetzgeberischen Entscheidung zu Inhalt und Programm der erteilten Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung. Es sei weder erkennbar noch vorhersehbar, in welchen Fällen und mit welcher Tendenz der Verordnungsgeber von dieser Ermächtigung Gebrauch machen wird und welchen Inhalt die aufgrund der Ermächtigung erlassene Verordnung haben könne. Es handele sich daher um eine unzulässige pauschale Blankoermächtigung zur Schaffung von Straftatbeständen bei Verstößen gegen gemeinschaftschaftsrechtliche Regelungen zur Rindfleischetikettierung.

Die spannendste Frage bleibt unbeantwortet

Keine Stellung bezog das BVerfG zu einer weiteren Frage, die die öffentliche Debatte im Vorfeld der Entscheidung geprägt und Mutmaßungen über eine mögliche Grundsatzentscheidung aus Karlsruhe befeuert hatte. Denn der Senat selbst hatte vergangenes Jahr in seiner Bitte um Stellungnahme an diverse Verbände und staatliche Institutionen die Möglichkeit angesprochen, dass § 10 Abs. 1 und 3 RiFlEtikettG wegen eines Verstoßes gegen das ultima ratio Prinzip nichtig sein könnte. Nach diesem Prinzip darf der Staat das Strafrecht nur als äußerstes Mittel einsetzen, wenn dies zur Vermeidung gewichtiger Gesetzesverstöße geboten erscheint - daran schien das BVerfG bei der fehlerhaften Etikettierung von Rindfleisch allerdings seine Zweifel zu haben.

Eine Entscheidung auf dieser Grundlage hätte potentiell deutlich über die Grenzen des konkreten Verfahrens hinausreichen und grundlegende Feststellungen zu den Grenzen zulässiger Strafgesetzgebung treffen können. Dies galt auch deshalb als möglich, weil Herbert Landau, der in dem Verfahren als Berichterstatter fungierte und inzwischen nach Erreichen der Altersgrenze aus dem Dienst ausgeschieden ist, bereits zuvor eine kritische Haltung gegenüber einer zu weit ausufernden Strafgesetzgebung hatte erkennen lassen. Dass die Frage nach einem möglichen ultima ratio-Verstoß in der Entscheidung nun relativ verblüffenderweise mit keinem Wort erwähnt wird, lässt sich zwar einerseits mit Verfahrensökonomie erklären: Da die Vorschrift bereits zu unbestimmt ist, besteht für eine weitergehende Prüfung keine Notwendigkeit. Andererseits wäre dies aber wohl auch kein unüberwindliches Hindernis gewesen, wenn der Senat tatsächlich eine Grundsatzentscheidung hätte treffen wollen. 

acr/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

BVerfG zu Bestimmtheitsgebot: . In: Legal Tribune Online, 03.11.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21043 (abgerufen am: 04.10.2024 )

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