Die Gewerkschaft Verdi durfte Amazon-Mitarbeiter auf dem Parkplatz direkt vor dem Betrieb ansprechen und zum Streik auffordern, entschied das BAG. Die Verfassungsrichter hielten diese Entscheidung nun für rechtens.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit einem am Mittwoch veröffentlichten Beschluss einem Begehren Amazons eine Absage erteilt. Der Online-Handelsriese sah sich durch eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) in seinen Rechten verletzt, das der Gewerkschaft Verdi und streikenden Amazon-Arbeitnehmern erlaubt hatte, auf dem Amazon-Betriebsgelände in den Arbeitskampf zu gehen. Die Karlsruher Richter nahmen beide Verfassungsbeschwerden des Unternehmens nicht zur Entscheidung an (Beschl. v. 09.07.2020, Az. 1 BvR 719/19 u. 1 BvR 720/19).
Die 3. Kammer des Ersten Senats befand, dass Amazon durch Streikmaßnahmen auch auf dem Firmenparkplatz unmittelbar vor dem Betrieb nicht in seinen Grundrechten auf Eigentum und unternehmerische Handlungsfreiheit verletzt wird. Dies hat die Kammer damit begründet, dass die Gewerkschaft auf die Möglichkeit angewiesen sei, Beschäftigte ansprechen zu können, um ihre in Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz (GG) geschützte Koalitionsfreiheit auszuüben. Dazu gehöre auch, die Arbeitswilligen vor Antritt der Arbeit persönlich anzusprechen, um sie zum Streik mobilisieren zu können. Damit verbundene Einschränkungen müsse Amazon hinnehmen.
Zwar sei von Art. 9 GG auch die negative Koalitionsfreiheit des Unternehmens erfasst. Das beinhalte aber nicht, von jeglichen Betätigungen der Koalitionen gänzlich verschont zu bleiben, so das BVerfG. Ziel des Streiks sei es auch nicht gewesen, Amazon zu einem Verbandseintritt zu bewegen, sondern lediglich einen Haustarifvertrag zu erkämpfen, was keine Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband erfordere.
Verdi hatte 2015 zum Streik aufgerufen
Hintergrund ist ein Streik, den die Gewerkschaft Verdi 2015 organisiert hatte. Die außerorts in einem Gewerbegebiet gelegenen Amazon-Dependancen waren an zwei Tagen bestreikt worden. Verdi hatte dazu auf dem Parkplatz vor dem Haupteingang Stehtische und Tonnen aufgebaut und dort ihre Vertreter sowie streikende Arbeitnehmer postiert. Diese hatten Flyer verteilt und Angestellte, die zur Arbeit erschienen, zur Teilnahme am Streik aufgefordert.
Dies wollte Amazon nicht dulden und berief sich auf sein Hausrecht. Das BAG entschied nach Abwägung der widerstreitenden Grundrechtspositionen, dass die Streikmaßnahmen dort hinzunehmen seien. Gegen diese Entscheidung legte Amazon Verfassungsbeschwerde ein – erfolglos, wie sich nun zeigte. Das BAG habe die grundrechtlichen Wertungen hier nicht verkannt, resümierten die Karlsruher Richter schließlich.
Nach den Feststellungen der Gerichte handelte es sich um etwa 65 Streikende auf einer Parkplatzfläche von fast 30.000 Quadratmetern.
vbr/LTO-Redaktion
Mit Materialien der dpa
BVerfG zum Streik auf Betriebsgelände: . In: Legal Tribune Online, 05.08.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42410 (abgerufen am: 07.11.2024 )
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